Der Film Das verflixte 7. Jahr war das erste Mal, als ich mit Marilyn Monroe in Kontakt gekommen bin. So weit ich mich daran erinnern kann, spielte sie dort die Paraderolle der großbusigen, verführerischen und unbedarften Blondine. In der Komödie Manche mögen's heiß spielte sie erneut diesen Typ von Frau und spätestens nachdem ich das frivol wirkende Geburtstagsständchen an John F. Kennedy sah, ließ ich mich dazu breitschlagen, diese Frau auf die oben genannten Eigenschaften zu reduzieren. Erst Jahre später fand ich zufällig einem Spiegel Artikel, der die Aufzeichnungen und Notizen von Marilyn Monroe beinhalteten und einen äußerst persönlichen Einblick gewährten. Auf Zeitungspapier oder Notizblöcken hatte sie damals ihre Gedanken, Ängste oder Zweifel geschrieben und diese Worte legten ein Bild auf die Person hinter den Mythos frei und ich erkannte in Norma Jeane Mortenson eine äußerst reflektierte Frau, die mit Selbstzweifeln rang und letztendlich daran zu Grunde ging.
Bei dem nachfolgendem Text handelt es sich um Auszüge zweier Spiegelartikel.
Ich weiß nicht, wer die hohen Absätze erfand, aber die Frauen verdanken ihnen viel.
Muss mich mehr anstrengen zu tun
muss die Disziplin aufbringen, das Folgende zu tun -
z - zum Unterricht gehen - zum eigenen immer - ohne Ausnahme.
x - möglichst oft Strasbergs andere Kurse besuchen.
g - nie die Stunden im Actors Studio versäumen.
13 Punkte umfasst die Liste, die Marilyn Monroe 1955 in New York in kleinen gestochenen Buchstaben in ein ledergebundenes Adressbuch notiert. "Jemanden für Tanzunterricht suchen", steht da auch. Doch die Zeilen sind keine To-Do-Liste, eher wirken sie wie der Versuch, ein Leben zu ordnen, das aus den Fugen zu geraten droht. "Mich wirklich ins Zeug legen, gegenwärtige Probleme und Phobien anzugehen", fordert sich Monroe selbst darin auf. Und "versuchen, mich zu amüsieren, wann immer möglich - wie es aussieht, wird es mir schlecht genug gehen". Ganz unten auf der Seite, gedrängt an den Rand des Papiers steht: "Wörter - Bedeutungen herausfinden" und die Begriffe "Wanderjahre" ("bedeutet es Opfer?") und "à trois" ("heißt das so was wie auf Probe?").
Man könnte meinen, dass hier eine junge Schauspielerin in Ausbildung mit pathetischen Wendungen ihre Unsicherheiten spiegelt. Ein junges Mädchen zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen den ersten kleinen Rollen und den Phantasien vom Durchbruch als Hollywood-Star. Doch Marilyn Monroe ist 1955 kein kleines Licht mehr in der Traumfabrik. Sie ist 29 Jahre alt und auf dem Sprung vom Star zur Legende. Sie hat bereits in "Niagara" den vor Sex knisternden Vamp gegeben, in "Blondinen bevorzugt" den Song "Diamonds Are The Girls Best Friend" unsterblich gemacht und nach "Wie angelt man sich einen Millionär" ihre Filmpartnerin Betty Grable als das populärste Pin-up der US-Soldaten abgelöst. Die tiefe Verunsicherung, die ständige Angst davor, ins Bodenlose zu stürzen, konnte ihr all dies nicht nehmen.
Davon zeugen die Aufzeichnungen, die erstmals in dem Buch "Marilyn Monroe - Tapfer lieben" versammelt sind. Erst 2007 stieß Anna Strasberg, die Witwe des berühmten Schauspiellehrers Lee Strasberg, beim Aufräumen auf diese Dokumente, die sich in zwei unscheinbaren Kartons fanden. [...]
Die Aufzeichnungen widersprechen allen gängigen Klischees von dem blonden Dummchen oder der immerscharfen Sexbombe. Viele der Zeilen zeugen von Monroes Scharfsinn, einem an Selbstsezierung grenzendem Reflektionsvermögen und immer wieder echter lyrischer Sprachgewalt. Die Unterschiedlichkeit der Textformen trägt dazu bei, die Sammlung zum Schillern zu bringen. Briefe an ihre Psychoanalytiker und Anmerkungen zur Arbeit mit ihrem Schauspiellehrer Strasberg, Listen mit Songtiteln und Gedichte, schnelle Notizen und detaillierte Traumtagebücher, Durchhalteparolen an sich selbst und Kochrezepte krachen hier aufeinander. All diese Aufzeichnungen vereint die Geste des Festhalten-Wollens.
Wahrscheinlich hatte ich immer schon bodenlose Angst davor, wirklich eine Ehefrau zu sein, da ich vom Leben weiß, dass man einander nicht lieben kann, nie wirklich. |
Monroe gelingt es trotz des Erfolgs nicht, ihre Unsicherheit zu besiegen. Sie sieht ihre Stärke, ja, aber auch ihre Fragilität. In einem Gedicht findet sie ein Bild dafür: Spinnweben. Spinnweben können im Sturm bestehen, aber von einer Hand, die nach ihnen greifen, sofort zerrissen werden.
Warum quält mich das so? Warum fühle ich mich als Mensch weniger wert als andere?
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir klar, es gibt keine Antworten, das Leben muss man leben, und da es vergleichsweise kurz ist - (vielleicht zu kurz - vielleicht zu lang) -, bleibt mir nur die Einsicht, es ist nicht leicht.
Die Angst davor, nicht zu genügen, den Menschen um sie herum ebenso wie ihrer eigenen Idee von Perfektion, spiegelt sich auch in ihren lyrischen Skizzen und kurzen Gedichten wider. Immer wieder verbunden mit dem Wunsch, wenn sie nicht perfekt sein kann, lieber gar nicht zu existieren:
Verdammt, ich wünschte, ich wäre
tot - gar nicht vorhanden -
fort von hier - von
überall, nur wie würd ich
Es gibt immer Brücken - die Brooklyn
Bridge -
Aber die liebe ich ...
lauten die ersten Zeilen aus einem ihrer schönsten Gedichte. Doch auch so strahlende und klare Sprachbilder wie dieses wirken auf dem Papier unbedacht hingehauen wie irgendeine schnelle Kritzelei. Monroe hat sich nicht getraut, sie mit einer Schreibmaschine abzutippen oder sie abzuschreiben, Streichungen und Umformulierungen zu tilgen. So als hätte sie Angst, dem Gedicht damit eine Gültigkeit zu verleihen. Als wolle sie diese Gedanken lieber in der Schwebe halten, statt noch etwas zu haben, das sie den Menschen von sich gibt. Etwas, das sich vielleicht als hohl entpuppen könnte.
Vielleicht aber wollte sie doch gelesen werden. Auf einem besonders wirr beschriebenen Din-A4-Bogen steht eingequetscht und verborgen zwischen anderen Gedanken "vielleicht liest dies jemand? Ich glaube kaum". Nun sind sie raus, Marilyn Monroes Gedanken auf Papier, gedruckt und gültig. Und möglicherweise hätte ihr dieses Buch sogar gefallen - wenigstens für einen Moment.
Das Leben rückt näher und ich will nur sterben. |
Vielleicht ist das die große Erkenntnis dieser Notizen: Sie war nicht das Auslaufmodell der Voremanzipation, kein Dummchen mit hübschem Po und langen Wimpern. All ihre Notizen, diese kleinen, traurigen Gedichte, ihre Zweifel und ihr Abscheu - das alles ist am Ende nichts anderes als das aussichtslose Ringen um einen Platz in der Gesellschaft, für den es damals kein Vorbild gab und heute noch keines gibt.
Der tolle Beruf, die gelungenen Kinder und Schönheit bis ins Alter, das ist die Maßgabe heute, und das war auch das Ziel von Marilyn Monroe, die mit dreißig begann, mit der Lupe nach Falten zu suchen, die glaubte, dass alles schon zu spät für sie sei. Ihre Verzweiflung kommt einem heute ziemlich bekannt vor. Es ist eine individuelle Geschichte, und es ist auch die Geschichte einer Kranken. Dennoch ist Marilyn Monroe ein Spiegel, in dem wir "unser vergrößertes Ebenbild erblicken", wie Norman Mailer einmal über sie schrieb.
Für mich gibt es praktisch keine Nacht – es ist alles wie ein langer, langer schrecklicher Tag.
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