Das ist ein Projekt mit Karina und Thoko. Jeder schreibt einen Absatz und der andere schreibt einen weiteren. So soll eine spontane Geschichte entstehen, in dem Leser und Schreiber von dem Fort- und Ausgang überrascht werden können. Hier findet dieses (hoffentlich) niemals endende Geschichte ihre Veröffentlichung, auch wenn ich mir bewusst bin, dass niemand diesen Blog verfolgt, wird sich wohl hoffentlich eines schönen Tages jemand an dieser Geschichte erfreuen. Ich habe den Anfang gemacht und zwar mit:
Die Sonne wirft lange Schatten als sie durch buntes Geäst streift und den Park in sanftes Orange taucht. Beide Hände trägt sie in ihrer Tasche, während der Sommerwind ihre langen Haare auf und ab tanzen lässt. Ihre Blicke streifen verschwommen über den Stadtpark hinweg zur Menschenmenge, welche die Stadt mit Leben füllt. Eine Träne tropft von ihrer Nasenspitze und benetzt lautlos den sonnenüberfluteten Straßenbeton, den hektische Schatten hier und da kurz beflecken. Als sie sich umdreht, treffen sich ihre Blicke und werden stumm hin und zurück geworfen. Seine Lippen lösen sich von der Zweisamkeit und sein Mund öffnet sich leicht, als er sie in den Bus steigen sieht. Hastig drängt er sich mühevoll durch das Menschenmeer und trägt ihren Namen ein letztes Mal auf den Lippen. Denn als er den Bus erreicht, fährt dieser los und lässt ihn alleine zurück. Lange starrt er verloren auf die Straße, bis sein Blick zu Boden fällt. Er trägt nun die Gewissheit in sich, dass diese Geschichte, seine Geschichte, in diesem Augenblick der Vergänglichkeit Tribut zollen muss und zu Ende ist. Und doch ist es dieser Moment, an dem er sich erinnerte, wie alles begann.
Karina |
Es begann mit einem klassischen und grauen Montagmorgen. 6:24 klingelte sein Wecker. Ihm gefiel die Tatsache, dass 6 die Summe aus 2 und 4 war. Mit solchen Rechenspielereien lenkte er sich gerne ab. Doch wovon ablenken? Vielleicht von dieser unglaublichen Langeweile, die Tag ein Tag aus an ihn nagte und mit der er durchs Leben schritt oder davon wie sehr er versagt hatte oder auch einfach von der Absurdität seines Lebens. Mitte 30, eine Dachgeschosswohnung in dem Haus der Eltern. Außerdem hatte er am Vortag die 4te (!!!) Wurzelbehandlung hinter sich, die immer noch unglaublich schmerzte, wenn er kaute. Alles in allem nicht unbedingt das Leben, wie er sich in seiner Jugendzeit sein „Erwachsensein“ vorgestellt hatte. Er ging nach einer kalten Dusche, einer Rasur, bei der er sich in seiner Gedankenverlorenheit am Kinn schnitt und einem spartanischen Frühstück aus dem Haus. Er fuhr mit dem Bus zur Arbeit, da er kein Auto besaß, auch eine Tatsache, die er sich mal anders vorgestellt hatte. Er lief die Straße hinunter, überholte wie jeden Morgen ein paar Schulkinder, die so fröhlich und unbedarft waren und noch nicht wussten, was oder was nicht, das Leben für sie bereithielt. Dann stellte er sich an die Bushaltestelle und blickte in ausdruckslose Gesichert, ausdruckslose bekannte Gesichter, bekannt einfach weil er Tag ein, Tag aus, mit ihnen um 7:25 an der Bushaltestelle stand. Da war zum Beispiel die ältere Lady, die ihre angegrauten Haare mit zwei Spangen streng nach hinten gebunden hatte. Doch ihr Blick wirkte eher weich und von Traurigkeit und Schwermut umgeben. Oder auch der Teenager, der ihn irgendwie an sich erinnerte. Mit seiner viel zu großen Jacke, der zu engen und vor allem zu kurzen Hose, seiner Brille, die am unteren rechten Brillenglas einen Kratzer hatte stand er da und fixierte sein Handy. Das tat er jeden Tag, ob er spielte oder SMS schrieb, war nicht deutlich. Vermutlich nutzte er das Handy nur als Punkt um einfach irgendwas anzustarren und um jeglichen Blickkontakt zu einer menschlichen Gestalt zu vermeiden.
Andreas |
Ihr ungeträumter Blick durchdringt die Dunkelheit und fixiert den Schatten des Baumes, der durch die Straßenlaterne auf die Wanddecke geworfen wird. Leise Musik ertönt, als das Display des Radioweckers 5:02 a.m. in roter Schrift aufleuchten lässt. Sie dreht sich zum Wecker und betrachtet lange die Uhrzeit, während eine Träne über ihre Nase auf das Kopfkissen fällt. Ihre Finger lassen die Musik schnell verstummen, als sie bemerkt wie neben ihr sich unruhig die Bettdecke bewegt. Mit leisen Schritten entweicht sie dem Bett, sammelt ihre Sachen vom Boden und öffnet die Schlafzimmertür. Schlaftrunkenes Gemurmel bringt sie zum Stehen. "Wie spät ist es?" ertönt es undeutlich aus dem Bett. Sie wirft ihre Sachen aus dem Schlafzimmer in den Flur und nähert sich dem Bett. Sanft streicht sie ihm durchs Haar, atmet nach einem kurzen Moment tief aus und sagt mit leiser Stimme: "Zu früh für Dich und zu spät für mich. Aber das weißt Du ja". Sie küsst seine Stirn und flüstert: "Ich bin heute Abend wieder da. Ich hab Dich sehr lieb". Er wendet mit einem Seufzer ab und murmelt kaum hörbar ins Kopfkissen: „Bis dann“. Mit einem flüchtigen Lächeln wirft sie noch einen Blick auf die schlafende Silhouette, bevor sie die Tür hinter sich zum Schließen bringt.
Ungestüm regnen warme Wassertropfen auf den weißen Boden der Dusche. Sie wirft ihre nassen Haare zurück und lässt ihre Hände über den Bauch gleiten, die inne halten, als ihre Fingerspitzen die frische Narbe ertasten. Pulsierender Schmerz durchfährt ihren Körper und zwingt sie in die Knie. Ihre Hände zittern, hastig presst sie Luft durch ihren Mund und ihre Augen verlassen verzweifelte Blicke Richtung Tür. Einige Augenblicke später lässt der abklingende Schmerz ihren Kopf erschöpft zu Boden fallen. Sie wimmert leise. Ihre linke Hand fährt leicht über die Narbe, die rechte ballt sie zur Faust und schlägt sie schwach auf den Boden, während warme Wassertropfen ungestüm auf ihren gekrümmten Körper regnen und langsam aber stetig das Blut zurück in den Abfluss drängen.
Mit einem Ruck lässt sie die Wohnung zurück und die Tür ins Schloss fallen. Leichte Schritte tragen sie und ihren roten Rucksack Treppe um Treppe hinauf auf das Dach, wo sie der laue Morgenwind begrüßt und ihr leicht ins Gesicht bläst. Sie springt auf die Brüstung, lässt die Füße über die Fenster unter ihr baumeln und beobachtet mit ausdrucksloser Mine wie die Stadt sich langsam mit Lärm füllt. Schüchterne Schatten wandern über die Stadtdächer und bedecken hier und da das Treiben auf den Straßen. Als die Kirchturmglocke behäbig schlägt, springt sie hinab. Der Stadt den Rücken gekehrt sitzt sie an die Brüstung gelehnt, von der sie gerade auf den schmutzigen Dachboden gesprungen ist. Aus ihren Rucksack holt sie einen kleinen Kalender hervor und befreit das schwarze Leder von einigen Krümeln. Sie öffnet den heutigen Tag und lässt den gestrigen hinter sich, als sie achtlos diese Seite herausreißt und zerknüllt über das Hausdach wirft. Mit dunklen Blau benetzen einige Worte das Papier und füllen rasch die gesamten Zeilen aus. Kühle Luft entweicht aus ihren Mund, die die Tinte zum Trocknen bringt. Kurz darauf lässt sie Blatt um Blatt über den Daumen blättern und starrt Lange auf die großen schwarzen Zahlen der Seite, die mit roter Farbe umrandet sind. Mit Daumen und Zeigefinger prüft sie die Dicke des übrig gebliebenen Papiers, bevor sie mit einem Seufzer den Kalender schließt.
Der Haargummi formt ihre unbändigen Haare zu einem Pferdeschwanz, als sie die Tür schließt und das Haus verlässt. Ihr Blick fixiert den Boden und erspäht ein zerknülltes Blatt Papier, das sie einige Augenblicke später in den Papierkorb der Haltestelle wirft, wo der Bus schon von wenigen Menschen betreten wird. Lässig schlendert sie durch den Bus und lässt ihre Fingerspitzen kurz über die Sitze streifen. Nachdem sie Platz genommen hat, stützt sie ihre angewinkelten Beine an den Sitz vor ihr und umklammert ihren Rucksack, den auf ihren Schoß platzierte. Sie betrachtet ohne Ausdruck wie Menschen, Häuser und Autos an dem Fenster vor ihr vorbeiziehen. Als der Bus bei einer Haltestelle zum Stillstand kommt, holt sie tief Luft und haucht die Scheibe an. Auf ihrem beschlagenen Atem formt sie mit dem Zeigefinger ein grinsendes Gesicht, das die ungeduldigen Gesichter auf der Straße begrüßt, die darauf warten einsteigen zu können. Sie lässt ihren Kopf auf den Rucksack ruhen und betrachtet aufmerksam die Passanten die den Bus betreten.
Thoko |
10:46. Ein winziger Schauer durchfuhr ihn. Schon wieder eine Summen-Uhrzeit. Er schien nur noch solche Uhrzeiten wahrzunehmen. Die Minutenziffern ergaben in der Summe die Stundenzahl.
Nun war er schon gut zwei Stunden im Büro und hätte nicht sagen können, was er in den vergangenen zwei Stunden getan hatte. Sobald er ins Bürogebäude und dann in den Aufzug trat, schaltete sein Gehirn auf Durchzug. Seine Arbeit war alles andere als stupide, doch waren ihm die Arbeitsabläufe so vertraut, dass er sie, im wahrsten Sinne, im Schlaf erledigen könnte. Doch so sehr er dafür ausgelegt war, den Tag träumend zu verbringen, versuchte er mit Vehemenz seine aufkommenden Gedanken beiseite zu schieben. Über die Jahre hatte es sich zum Mittelmaß eingependelt. Er hielt mit seinem makellosen Auftreten, dem Markenanzug, dem grellweißen Hemd und der immer perfekt geknoteten Krawatte, den Schein nach außen.Sein Unterbewusstsein erledigte gewissenhaft seine Arbeit, während seine Gedanken davonstieben und nur selten im Laufe des Tages zur Realität zurückfanden. Er glaubte, es müsse seinen Kollegen wohl ähnlich gehen, dass sie den Tag nur überstanden, indem sie mit ihren Gedanken permanent verreisten.
Jetzt war gerade so ein Moment, im dem er plötzlich bewusst wahrnahm. Er stand am Kopierer und wartete auf das Ende des Kopiervorgangs, während er einer Fliege hinterher sah, die summend durch die Luft flog, ein Stück die Wand entlang und dann einmal quer über das Ziffernblatt der Wanduhr lief.
Er hörte wie zwei Stimmen sich den Flur entlangschoben, die Eine tief und kratzig, die Andere mit einem dümmlichen Lispeln. Vor dem Kopierraum angekommen, stieß der eine schwungvoll die Tür auf und erschrak leicht. Er hatte nicht damit gerechnet mich hier vorzufinden. Sie unterhielten sich wohl gerade über irgendeinen Sport. Er hatte es nicht mitbekommen in dem kurzen Moment, den es gedauert hatte, vom Öffnen der Tür, bis sie ihn gesehen hatten und abrupt verstummten. Nach einem knappen Hallo und einem etwas unangenehmen Schweigen, fiel dem Einen die Unhöflichkeit seines Schweigens auf, und er fragte ihn, ob er das Spiel gestern gesehen habe. Wer kam auf die dumme Idee ihn nach irgendwelchen sportlerischen Ereignissen zu fragen. Und dann auch noch mit einer solchen Selbstverständlichkeit davon auszugehen, er wisse darüber Bescheid.
Er sah ihn nur verständnislos an und nickte knapp, als er den Stapel Papiere aus dem Kopierer nahm und sich zur Tür wandte. Diese jungen Kollegen waren im Vorjahr für die Instandhaltung der technischen Geräte eingestellt worden. Er hatte sie ein paar Mal gesehen und sie hatten sich ihm vorgestellt. Sie hatten ihm gesagt er könne sich an sie wenden wenn er irgendwelche technischen Schwierigkeiten hätte. Wie konnte man nur den ganzen Tag so über belangloses Zeug quatschen, wie es die Beiden exzessiv taten.
Ja, Mutter, ich werde pünktlich zum Abendessen da sein, sagte er gerade in den Hörer, als er das nächste Mal in die Realität zurück fand. Sie rief in ständig im Büro an, um ihm zu erzählen, welche Freundin ihr beim Einkaufen begegnet war und wie es deren Kindern und Enkeln ging und wer mit wem jetzt verheiratet war, nur um darauf zu sprechen zu kommen, dass er noch keine Freundin, geschweige denn Verlobte nach Hause gebracht hatte und der arme Nachbarhund hatte sich das Bein gebrochen, in dem Versuch, auf den Esstisch zu springen und sich das Steak zu holen.
Er konnte nur ahnen, was sie ihm gerade alles erzählt hatte. Vermutlich hatte sie ihm lang und breit erzählt, wer heute zum Abendessen zu Besuch kam, denn sie hatten oft Besuch zum Abendessen. Und mit welcher Mühe das kommende Mahl verbunden gewesen war. Es wird bestimmt ganz großartig werden, hörte er sich sagen, unter dem Eindruck es werde das Gespräch beschleunigen. Er hatte es aufgegeben, ihr zu sagen, sie solle ihn nicht im Büro anrufen, er habe zu tun. Stattdessen ließ er sie reden und gab hin und wieder ein paar bestätigende Worte von sich. Sein Vater hatte schon vor Langem aufgehört ihr zuzuhören. Wer konnte es ihm verübeln. Ein beißender Schmerz durchzuckte seinen Kopf, als er gedankenverloren auf ein paar Sonnenblumenkerne biss. Er hatte sie sich aus Gewohnheit zwischen die Zähne geschoben und wurde dafür nun mit einem anhaltenden, ziehenden Schmerz entlohnt.
Karina |
Sie blickte in die Gesichter der einsteigenden Fahrgäste. Eine alte Dame, nahm ganz vorne im Bus Platz und betrachtete ihre gefalteten Hände ausgiebig. Sie musste unwillkürlich an ihre Großmutter denken, die sie stets mit liebevoller Bestimmtheit darauf hinwies ihrer Mutter „nicht so viel Kummer zu machen“. Ein Schüler lehnte sich an einer Stange im mittleren Teil des Busses an. Ein Mann Mitte 30 ging an ihm vorbei und steuerte mit ausdrucksloser Miene den Sitz neben ihr an. Sein fragender zu ihr gerichteter Blick sagte „ist hier noch frei?“. Sie nickte. Er setzte sich auf den Platz neben ihr und packte ein Buch aus seiner Ledertasche. Er suchte eine Stelle im Buch in der eine mehrfach geknickte Postkarte, mit einer schwarz-weißen Abbildung des Eiffelturms, lag. Die Postkarte markierte scheinbar die Stelle, an der er beim letzten Mal aufgehört hat zu lesen, denn nun vergrub er seinen Blick in die abgedruckten Worte. Obwohl sie so nah neben einander saßen, hielt er eine Distanz, von der sie vorher nicht wusste, dass sie auf so engen Raum möglich war. Kein Teil seines Körpers berührte den ihren. Sie sah aus dem Fenster. Der Bus hielt und fuhr, Menschen stiegen ein und aus und auf den Straßen gingen Menschen ihren Weg. Ab heute wird das der Weg sein, der auch sie jeden Morgen begleitet. Sie nahm einen kleinen Handspiegel aus der Tasche und betrachtete sich. Sie betrachtete ihre langen Wimpern und blickte sich selbst in ihre gläsernen Augen. Sie hatte das Gefühl das dort geschrieben steht, was sie erlebt hatte, als wären ihre Augen das Buch, das die Geschichte niedergeschrieben hat und jeder könnte sie lesen. Sie betrachtete die Gesichter und Augen der anderen Fahrgäste, auch hier sah sie gelebte Geschichten. Sie überlegte sich was die Menschen in sich trugen, Enttäuschung, Verbitterung und Hoffnung. Die Augen schienen es ihr zu verraten. Auch eine Mutter mit ihrem Baby war im Bus. Als sie mit dem Bus an der Haltestelle ankam, an der sie aussteigen musste, ging sie an ihr vorbei und nutzte die Gelegenheit einen Blick in den Kinderwagen und auf das Baby zu werfen. Seine Augen schienen keine Geschichte zu schreiben, sie blickten einfach nur groß und erstaunt auf die kleinen, blauen und gelben Elefanten, die an der Stange über dem Kinderwagen tanzten. „Was du wohl mal für eine Geschichte zu erzählen hast?“, sprach sie in Gedanken zu ihm und dann stieg sie aus dem Bus. Sie kannte den Weg noch, einmal ist sie ihn bereits gegangen.
Vor einem Monat las sie in der Zeitung „EasyFix“ sucht Produktionshelfer/innen, Eintritt ab sofort möglich. Sie meldete sich dort und wurde eingeladen. Das Bewerbungsgespräch war unkompliziert und simpel. Der Produktionsleiter, eine väterliche Gestalt mit Bart und Brille, setzte nur einmal während des Gespräches ein argwöhnisches Gesicht auf, während er ihren Lebenslauf betrachtete. Eine Lehre und kurze Berufstätigkeit als Altenpflegerin, mehr war darauf nicht zu sehen. Aus irgendeinem Grund fragte er jedoch nicht nach den Gründen für die berufliche Veränderung, sondern beendete das Gespräch mit „am 1. können Sie anfangen“. Ihr Freund und ihre Mutter hielten absolut nichts von ihrer Idee: „Diese Arbeit wird dich nicht erfüllen“, „Du wirst dich chronisch unterfordert fühlen“. Dabei sollte es auch keine Entscheidung für die Ewigkeit sein. Sie wollte nur ein wenig Luft schaffen, Luft zum Atmen. Täglich ein paar Stunden, wo sie einfach wie eine Maschine arbeiten muss, schienen ihr da ein Weg zu sein, sich nicht in die Tiefen ihres Inneren bewegen zu müssen. „EasyFix“ produziert Einkaufswagen, was genau ihre Arbeit sein wird, wusste sie nicht, es war ihr auch egal. „Maschinenbedienung“, „Fertigungsarbeiten in der Produktion“ und „Bandarbeit“ hieß es in der Stellenbeschreibung. Das klang einfach, emotionslos und irgendwie beruhigend.
Sie ging die Straße hinunter und folgte dem Mann, der im Bus neben ihr saß, er schien das gleiche Ziel zu haben. Auf dem Betriebsgelände bog er dann ab und folgte den Schildern „Zur Verwaltung“. Sie blickte durch die Fenster in die Büroräume, wie die Menschen in den Büros Platz mit einer Tasse Kaffee Platz nahmen, den PC anmachten und scheinbare Belanglosigkeiten mit ihren Kollegen austauschten. Ihr Weg ging weiter Richtung Produktion, vor der sich einige ihrer neuen Kollegen, mit Zigaretten im Mund, tummelten. Sie schritt zügig ohne einen Blick mit ihnen auszutauschen an ihnen vorbei und betrat das Produktionsgebäude.
Andreas |
Der schwüle Sommertag liegt erdrückend über der Großstadt und bringt deren Einwohner zum Stöhnen, wie es sonst nur eine 18 jährige Albanerin mit Hoffnung auf den Erhalt einer Aufenthaltsgenehmigung fertig bringen könnte. Einige wenige entkommen der höllischen Hitze nur dank eines gut geplanten Urlaubs, während andere die Zeit haben, ihre behäbigen Körper im hiesigen Freibad zu räkeln, weil sie mit parasitärem Vergnügen ihren staatlichen Wirt aussaugen. Der bemitleidenswerte Rest malocht hingegen eingepfercht wie Sardinen in einer Dose für einen Hungerlohn, der selbst für eine einbeinige 67 jährige Prostituierte lachhaft wäre.
Nehmen wir uns doch einfach die Zeit und betrachten einen dieser Arbeiter doch einmal genauer. Dazu betreten wir das Verwaltungsgebäude des Easy Fix Unternehmens in der Berliner Straße 8, das zugleich Arbeitsplatz von Sven Mönnig ist. Sven ist ein Industriekaufmann, der vor 34 Jahren in einer heruntergekommenen Vorstadt zum ersten Mal das Licht der Welt und das erschrockene Gesicht einer tollpatschigen Hebamme erblickte. Für Sven mag der heutige Tag nicht mehr als eine weitere Aneinanderreihung von belangloser Büroarbeit sein, die selbst ein kahl rasierter Zirkusaffe unter Einfluss von starken Beruhigungsmitteln hätte meistern können, doch was Sven nicht ahnt, ist das dieser Tag der letzte in seinem recht überschaubaren Leben sein wird. Denn in nur wenigen Minuten werden wir Zeuge, wie er einen kurzen aber grausamen Tod sterben wird.
Also begleiten wir ihn auf diesen letzten Minuten und begeben uns in sein Büro, wo der pedantische Sekundenzeiger in stoischer Gelassenheit seine Runden zieht und in diesem Augenblick für ein weiteres Mal seinen schärfsten Konkurrenten, den Minutenzeiger, überrundet, der kurz darauf resigniert nach vorne nickt. Es ist 11:56, also genau jene ehrwürdige Zeit, an der jede unmotivierte Arbeitskraft den Aufwand der Scheinarbeit auf ein Minimum beschränkt und die Synapsen der Geschmacksnerven trennt, um das Essen der Kantine zu ertragen, welches höchstwahrscheinlich aus einem Thailändischen Frauengefängnis importiert wurde. Doch die Aussicht auf eine funktionierende Klimaanlage und genau die Art von Gesprächen mit den Arbeitskollegen, die jeder Existenzberechtigung offen ins Gesicht spuckt, lässt doch ein paar müde Endorphine orientierungslos in den Blutkreislauf taumeln und genauso ergeht es auch unserem Sven, der sich gerade im glühenden Büro die glitzernden Schweißperlen von der Stirn wischt. Ein angestrengtem Stöhnen verlässt seine Lippen, als er sich von seinem Stuhl erhebt. Angewidert befreit er die klebrige Unterhose von der nassen Umarmung mit seinen üppigen Pobacken, streckt seine Arme laut grunzend und verlässt mit einem verschlafenen Gesichtsausdruck das Büro. Seine bucklige Statur erinnert an ein angeschossenes Faultiers, während er müde den langen Korridor des Großraumbüros entlang schlürft. Jeden seiner Arbeitskollegen grüßt er mit einem debilen Grinsen, genau wie bei Jasmina, die am Ende des Ganges auf den Aufzug wartet und sich mal wieder in ihrem schlampenhaften Naturell suhlt, indem sie ihr stattliches Brustfleisch gut einsehbar ins Schaufenster hängt als stünden sie zum Sonderverkauf in der lokalen Fleischerei. Mit ausgestrecktem Arm lehnt er sich gegen die Aufzugstür und bringt somit seine großflächigen Schweißflecken zum Vorschein. Unverhohlen fixiert er seinen lüsternen Blick auf die wohl geformten Brüste der jungen Sekretärin, während der Smalltalk über seine Lippen sprudelt, als wäre es das Erbrochene einer 14 jährigen, die letzte Nacht zu viel Jack Daniels in ihre Speiseröhre gekippt hat. Die Gesichtszüge von Jasmina verfallen schon bei der ersten Silbe, die aus seinem übel riechenden Mund gekrochen kommen, in einen komatösen Zustand. Ihr Gehirn hat größte Mühe die grundlegenden Funktionen aufrecht zu erhalten während sie in flehender Schweigsamkeit den Monolog ihres Gegenübers erträgt und auf die bittersüße Erlösung des Todes wartet. Der Aufzug macht sich mit einem leichten Glockenton bemerkbar. Ich verlasse den Fahrstuhl, der meine Sinne mit einschläfernder Musik betäubte. Erst jetzt bemerke ich das Drama, was sich nur wenige Meter vor mir abspielt. Jasmina befindet sich hilflos in den Fängen eines sabbernden Widerlings, der ohne Erbarmen mit fauligen Worten auf sie einschlägt. Ihre verzweifelnden Blicke lassen mich nicht einen Moment zögern und mache den verabscheuungswürdigen Abschaum mit meinem besten Freund bekannt, einer silbern glänzenden Berretta 92. Mein Finger schmiegt sich voller Erwartung an den Abzug und pumpt Augenblicke später Kugel um Kugel in seinen fülligen Körper. Die leeren Patronenhülsen fallen rauchend auf den Boden und erhalten kurz darauf Gesellschaft von Svens leblosen Körper. Jasmina fällt mir erleichtert um den Hals, doch ihre Umarmung enthüllt mehr als die Dankbarkeit. „Du hast mich vor diesem Monster befreit, ich verdanke Dir mein Leben und ich werde mich dafür erkenntlich zeigen.“ flüstert sie sich in mein Ohr und stößt mich von ihr. Vor meinen Augen löst sie ihre strengen Haarklammern und schüttelt ihre Haare, die lockig nach unten fallen Mit einem Ruck entreißt sie sich der Enge ihrer Bluse. Ihre Brüste drängen erregt in die Freiheit und tanzen kurz im Takt der Wollust. Das alles verschlingende Feuer brennt in ihren Augen. „Ich will Dich und möchte Deinen überaus durchtrainierten Körper spüren.“ stöhnt sie wie ein liebeshungriges Kätzchen. Ich bin wild vor Leidenschaft und gehe jetzt in die Kantine.“ sagt Jasmina in einem lethargischen Ton. „Was?“ kann ich nur verwirrt stammeln. „Ich bin hungrig und werde mir etwas zu Essen gönnen.“ erwidert sie, während ich nur ein weiteres „Was?!“ in den Raum werfen kann. „Meine Güte, bist Du schwerhörig oder was?“ sagt plötzlich ein übergewichtiger Mann genervt und fügt mit einer übertriebenen lauten Stimme hinzu: „Ich habe gesagt, dass ich hungrig bin und jetzt in die Kantine gehen werde.“ Er schüttelt sich kurz den Tagtraum aus seinem Gesicht und muss mit frustriertem Ausdruck erkennen, dass sich die laszive Schönheit in Sven verwandelt hat. Sven ist nicht nur sein Arbeitskollege, sondern teilt mit ihm auch die 25 Quadratmeter Bürofläche im Verwaltungsgebäude des Easy Fix Unternehmens. Doch sind es nicht diese 25 Quadratmeter, die Dank Svens übertriebenen Übergewichtes sehr ungerecht aufgeteilt sind, die ihn einengen. Vielmehr ist es die aufdringliche Natur seines Bürokollegen, der keinen Augenblick auslässt, um ihn mit Kleinigkeiten aus seinem Leben zu bedrängen, was zur Folge hat, dass er sich häufig dabei ertappt, wie es häufiger zu Svens Todesfällen in seinen Tagträumen kommt.
„Du brauchst mich erst gar nicht wieder zu fragen Sven, denn ich werde nicht mitkommen!“ sagt er energisch und unterbindet damit einen weiteren unermüdlichen Versuch seines Arbeitskollegen, ihn zur Mittagspause in der Kantine überreden zu wollen. „Wie lange arbeitest Du jetzt schon hier?“ äußert sich Sven in der Tonlage, wie es bei rhetorischen Fragen üblich ist. „Seit drei atemberaubenden Jahren. Was man ruhig wörtlich nehmen kann.“ antwortet er und beobachtet mit leicht angeekeltem Gesichtsausdruck, wie das ausgeprägte Doppelkinn eifrig hin und her schaukelt, als sein Gesprächspartner enttäuscht den Kopf schüttelt. „In dieser Jahren warst Du nicht einmal mit uns in der Kantine essen. Du bist schon Gesprächsthema. Hast Du etwa was gegen uns?“ fragt Sven mit einem leicht beleidigten Gesichtsausdruck. „Ach weißt Du Sven, ich weiß gar nicht was ich Euch da interessantes zu erzählen hätte.“ antwortet er mit gespielter Naivität.
„Du warst doch 5 Jahre in Afrika, da hast Du doch bestimmt 'ne Menge erlebt. Darüber hast Du überhaupt noch keinen Ton verloren.“ erwidert er mit ermutigender Stimme. Leicht genervt sagt er: „Es waren 7 Jahre und über manche Sachen spricht man einfach nicht gerne.“ „Ach was, Du kannst doch wenigstens etwas darüber erzählen. Wir wissen ja überhaupt nichts von Dir.“ sagt Sven mit vorwurfsvollem Gesichtsausdruck. „Wie geht's eigentlich mit Deiner Diät so voran Sven?“ erkundigt er sich interessiert, während er sich vom Bürostuhl erhebt. „Ach halt die Klappe!“ bellt Sven gekränkt zurück und nimmt einen großen Schluck aus seinem mit Diät Saft gefüllten Glas. „Guten Appetit.“ sagt er kühl und schließt die Bürotür hinter sich. Mit der Gewissheit gerade einen schlagfertigen Abgang hingelegt zu haben, läuft er mit einem zufriedenen Lächeln und zielstrebigen Schritt gegen einen Schreibtisch hinter der Bürotür. Der Schmerz wandert vom Knie ins Gesicht und verformt es zu einer qualvoll verzerrten Grimasse, welche kurz darauf rot anläuft. Denn in diesem Moment bekommt er von dem gesamten Büroraum das, was er am meisten verabscheut: Aufmerksamkeit. Das Zusammentreffen mit dem Tisch verursachte nicht nur ein unangenehmes Stechen im Knie, sondern auch einen lauten Knall, welcher sämtliche Bürokollegen dazu veranlasste, ihn mit Blicken zu überhäufen. Hektisch nestelt er an seinem Krawattenknoten und kratzt sich mit nervösen Lächeln am Hinterkopf. "Das ist nur 'ne alte Kriegsverletzung, die ich hin und wieder einrenken muss." Er kehrt dem ausdruckslosem Schweigen und vereinzelnd hochgezogenen Augenbrauen den Rücken und betritt mit mürrischen Grummeln, leicht humpelnd den Aufzug. Die einschläfernde Musik, die leise aus dem Lautsprecher dringt, lassen ihn abdriften. Die Fahrstuhltüren öffnen sich kurz darauf und für ihn hebt sich in Gedanken der Vorhang.
DIE ERSCHEINUNG VON PARIS
Eine Tragödie
Prolog
Chor: In stolzer Anmut vertreibt erwachender Tag,
Das schwache Schimmern der Sterne.
Die Gasse füllt sich mit muntren Hufschlag
Und entsendet die Stille der Nacht in weite Ferne.
Das Treiben der Bürger erlaubt keinen Halt,
Unerschütterlich ist ihr Streben,
Doch unter ihnen wandelt rastlos, eine Gestalt,
Gehüllt in unsichtbarer Kluft, verweilt sie ungesehen.
So lasst uns ungetrübten Blick auf jenen Geiste wenden,
und seiner Geschicht’ volle Aufmerksamkeit schenken.
ERSTER AUFZUG
Erste Szene
Ein großer Marktplatz
(Florianus tritt auf)
Florianus: Oh welch’ grausamer Streich das Schicksal mir spielt
Und mich an diesen Ort hier bindet.
Eingehüllt in unsichtbarer Kluft,
Trotte ich einsam unter Menschen,
Die mich zu hören, sehen
Und berühren nicht im Stande sind.
Doch hör ich jedes Wort und erspäh’ jede Untat,
Sei sie auch noch so verborgen.
Ich bin ein Geist, den das Schicksal auserkoren hat,
In dieser Stadt umherzuwandeln, ohne Ziel und Erlösung.
Vor unzähligen Jahren fand hier meine Reise ihren Ursprung
Und zog mich in fernes Land, um in edelhafter Absicht,
Ungerechtes Leid mit heldenhaften Mut zu mindern.
Mein Herz pochte wild und stolz in der Brust,
Mein Wille mit unbändigen Drang eifrige Taten forderte.
Von Glückseligkeit umgarnte Seele,
Verzückte mit ungezähmter Leidenschaft,
Bis Vergänglichkeit unbarmherzigen Tribut einforderte
Und räuberische Schurken mich hinterhältig erdolchten.
Dem Leben so forsch entrissen,
hegte meine Seele wucht’gen Groll,
weder Himmel noch Hölle gewährten mir den Eintritt
und so bin ich ein rastloser Wanderer,
zwischen den Welten gefangen.
Bitteres Schicksal, warum ereilt mich Dein strenger Hieb?
(Violetta erscheint)
Da ist sie, ihr engelsgleiches Antlitz blendet meine blassen Augen,
Sie ist es, meine Liebe, meine Venus, meine Aphrodite!
Ihr Anblick erfüllt die gebrochene Teile meines Herzen
Mit ungezügelten Funkenschlag der Liebe.
Stumm durchstreift sie die Straßen,
Könnte ich sie nur sprechen hören,
Und würd’ es mich mein Ohr kosten,
Ein Wort aus ihrem lieblichen Munde,
Und ich wäre bereit die Himmelstore
Oder tausend’ Höllenqualen zu durchschreiten.
(Violetta geht ab)
Hinfort sie schreitet,
Oh bittersüßer Abschied,
In stiller Hoffnung verbleib ich hier,
Auf das ich ihr liebliches Antlitz bald wieder erblicken darf.
(Marcellus tritt auf.)
Marcellus: He! Wer da? Ich höre Stimmen, so gebt Euch zu erkennen!
Florianus: Gott segne euch, Herr! Ich bitt’ euch, könnt ihr mich denn wirklich hören?
Marcellus: Ja wohl, nun gebt euch zu erkennen und bereitet diesem Spiel geschwind ein Ende!
Florianus: Wahrhaftig, die Wahrheit entweicht aus eurem Munde. Mein guter Herr, verratet mir euren Namen.
Marcellus: Marcellus ist der Name und Zimmermann ist mein Beruf. Jetzt gebt Euch zu erkennen, sonst dräng’ ich Euch die Wachen auf den Hals!
Florianus: Ich wünscht, ich könnt mich Euch zeigen, doch wander’ ich zwischen den Welten, bin weder tot noch lebend.
Marcellus: Hinfort mit Euch, Geist der Verdammten, Hinfort mit euch! Weiche von mir!
Florianus: So haltet ein Marcellus! Rennt nicht fort!
Marcellus: Verschont mich! Oh ich flehe euch an, so lasst mich doch unter den Lebenden verweilen.
(Marcellus geht ab.)
Florianus: Welch glückliche Fügung! Ein Mensch der im Stande ist mich zu erhören. Ich kann mir keinen Reim drauf machen und doch darf ich nicht verweilen, ich muss ihm folgen. Er rennt durch die Gassen als hätt er einen Geist gesehen. Doch hinfort mit mir, dieses Geschenk lass ich mir nicht mehr aus der Hand nehmen.
(Florianus geht ab.)
Der Vorhang fällt, die Fahrstuhltür schließt und der Tagtraum verblasst. Enttäuscht betätigt er eine Taste, die kurz darauf die Aufzugstür zum erneuten Öffnen zwingt und verlässt mit schnellen Schritten den Fahrstuhl und danach den Eingangsbereich des Verwaltungsgebäudes. Nur wenig später passiert er seine angestammte Bushaltestelle, die er ausgezehrt jeden Morgen begrüßt und ausgezehrt am Abend wieder verabschiedet. Der Wind fährt ihm erfrischend durchs Haar. Er schlendert die Straße entlang, mit der Vorfreude im Bauch, diesen gleich nicht nur mit fettigen Essen aus dem Schnellrestaurant zu füllen, sondern auch mit aufgeregten Schmetterlingen. Denn den ganzen Sommer schon ist er einem Fräulein zugetan, die jeden Mittag ihre Hunde im naheliegenden Park ausführt. All die Zeit nahm er den Umweg über den Park in Kauf und ist ihr doch nicht näher gekommen, als ein paar schüchterne Blicke, die jedoch umgehend auf dem Boden landeten. Doch heute, heute wollte er es wagen. Mit unerschütterlicher Zielstrebigkeit würde er seiner Zurückhaltung den Handschuh offen ins Gesicht schlagen und das ehrenhafte Duell zwischen Furcht und Leidenschaft für sich entscheiden. Der Gedanke ihr in einigen Augenblicken gegenüberzustehen, weckt das Tier in ihm und verlangt seinem Kreislauf alles ab. Wilde Phantasien flimmern vor seinen Augen und sein Becken zuckt rhythmisch. Die Erregung wandert in sein Gesicht und verformt es zu einen lüsternen Grinsen, was eine vorbeigehende Rentnerin mit einem verständnislosem Kopfschütteln quittiert. Doch ein Moment der Geistesgegenwart lässt ihn das fatale Verderben seiner Umstände erkennen. Das rhythmische Zucken war nichts anderes als das Handy in der Hosentasche und der Anrufer kein Geringerer als seine aufdringliche Mutter. Die Vorstellung, dass seine leibliche Mutter gerade die stürmischen Instinkte der Fortpflanzung in ihn geweckt hat, lässt seine Libido in einen katatonischen Zustand verfallen. Seine Augen rollen sich, als ihre Stimme den Weg in den Telefonhörer finden, dort in elektrische Impulse umgewandelt werden, um wenig später bei ihm als lautstarke Schallwellen ins Innere seines Ohres zu gelangen. „Wieso gehst Du nicht ans Telefon?“ klingt es blechernd aus dem Handy. „Es könnte an der Tatsache liegen, dass ich eine feste Arbeit habe und versuche dieser nachzugehen“ sagt er provokant, während er sich darauf vorbereitet, den Großteil des restlichen Gespräches passiv zu verfolgen zu müssen. Mit abwesender Miene verfolgen seine Augen die vorbeiziehenden Wolken. Hier und da spült er einige Füllwörter ins Handy, während er sich schleppenden Schrittes dem Park nähert. „Florian weigert sich übrigens immer noch.“ erwähnt seine Mutter beiläufig und doch ist es dieser Satz, der seine Aufmerksamkeit wieder zum Leben erweckt. Florian, das war mehr als nur der Name einer ihrer unzähligen Schildkröten, die sie zu Hause beherbergt. Es ist vielmehr der miserable Versuch seiner Mutter ihm eine unterschwelligen Botschaft vermitteln zu wollen. Denn diese Schildkröte trägt seinen Namen. Laut ihren Aussagen, ist Florian nicht nur langsam, faul und scheu, sondern weigert sich auch noch vehement den Paarungsaufforderungen seiner Artgenossen nachzukommen. Da diese Tiere die recht unbequeme Eigenschaft besitzen, ein hohes Alter zu erreichen, plagt Florian daher seit einiger Zeit die Vorstellung, seinen Namensvetter und eine gesamte Schildkrötenarmee in naher Zukunft versorgen zu müssen. „Ich muss jetzt weiter arbeiten, wir reden ein andern Mal.“ sagt Florian hastig ins Handy und unterbindet somit den Redeschwall seiner Mutter. Es war an der Zeit, seine Gedanken mit optimistischeren Aussichten zu füllen. Denn Florian hat den Park erreicht und nimmt den breiten Schattenwurf der großen Eiche in Anspruch. Aufmerksam verfolgt er wie unzählige Hundebesitzer ihre Schützlinge mit fliegenden Ästen und Tennisbällen in Bewegung halten. Angestrengt überdeckt er den gesamten Park mit seinen suchenden Blicken, um ihre Silhouette schließlich doch am Horizont zu erspähen. Er kann nicht anders, als kurz zu verweilen, sie aus der Ferne still zu beobachten und ihr ein verborgenes Lächeln zu zuwerfen. Nur wenig später, taumelt er wie ein Betrunkener über die Wiese. Seine Knie lassen jede Unterstützung vermissen, während sein aufgeregter Herzschlag die eigenen Sinne mit Adrenalin überschwemmt. Schritt um Schritt nähert sich Florian seiner Angebeteten. Nach ein paar Metern hat er es geschafft und nun scheint die Zeit für Florian jegliche Bedeutung verloren zu haben. Er steht vor ihr und sie vor ihm. Ihre Augen öffnen sich seinem Blick, dieser Augenblick verändert alles. Er spürt die vertraute Umarmung ihrer Seelen, spürt wie sich sein rastloses Gemüt geborgen zur Ruhe legt und vor allem spürt er, wie ein verirrter Tennisball aus dem Treiben des Parks an sein Kopf knallt. Entsetzt weicht er einen Schritt zurück und beobachtet traumatisiert, wie sich der gelbe Filzball durch die Kollision mit seinem Kopf senkrecht in die Luft schraubt und sich anschließend steil nach unten senkt. Reflexartig fängt Florian den Ball und begreift erst wenige Sekunden später, welch unheilvolle Kettenreaktion er damit ausgelöst hat. Denn der Tennisball ist nicht nur für einige Hunde aus dem Park Zentrum der Aufmerksamkeit geworden, sondern auch für die Schützlinge von Florians Schwarm, die in diesem Moment von ihrem Jagdtrieb überwältigt werden und sich mit einem kollektiven Ruck von der strengen Unterwerfung der Leine befreien. Mit verbissener Entschlossenheit stürmen sie auf das gelbe Objekt ihrer Begierde zu und damit auch auf Florian. Dieser steht für den Bruchteil eines Wimpernschlags paralysiert auf der Stelle, bevor sein Gehirn die herannahende Lawine aus Fell und scharfen Zähnen verarbeiten kann. Eine Überdosis Panik durchströmt Florian. Zügig dreht er sich und setzt zum Sprint an. Mit schnellen Schritten rennt er die Straße entlang und biegt verzweifelt in eine nahegelegene Kleingartenanlage ein, während das aufgestachelte Bellen hinter ihm immer näher rückt.
Es ist 12 Uhr und 39 Minuten. Die 66 jährige Rentnerin Julia Hessen sitzt vor ihrem Gartenhäuschen und stellt auf der feinen Untertasse eine zierliche Tasse aus Porzellan ab und füllt diese mit heißem Earl Grey Tee. Aus einer goldenen Dose platziert sie ein Zuckerstückchen in die gefüllte Porzellantasse und rührt den Tee mit einem silbernen Löffel kurz um. Mit einer kleinen Gabel trennt sie die Spitze ihres Kuchenstücks, bevor es in ihrem Mund verschwindet. Während ihr langjähriger Ehemann, Thomas Hessen, in dem luxurösen Bungalow einen tiefen Mittagsschlaf hält, schaut sie selbstzufrieden über den hauchdünn gemähten Rasen, der den gesamten Kleingarten mit satten Grün füllt. Als sie neidisch auf den gegenüberliegen Garten schaut, rennt in diesem Augenblick ein Mann mit einem Tennisball in der Hand an dem frisch lackierten Lattenzäune vorbei, gefolgt von einer wild gewordenen Horde aus Pudeln und Dackeln. Während Frau Hessen fragend ihre rechte Augenbraue hebt und versucht die Situation einzuordnen, springt Florian mehrere Meter weiter über einen hohen Zaun. Der Sprung lässt ihn das Gleichgewicht verlieren und nach vorne stürzen. „Hab ich Dich endlich Du dreckiger Mistkerl!“ brüllt ihm kurz darauf eine Person wütend entgegen. Florian hebt mit schmerzverzerrtem Gesicht langsam seinen Kopf und erkennt, wie vor ihm ein älterer Herr in Gartenkleidung steht und seinen vorwurfsvollen Zeigefinger direkt auf ihn richtet. „Ähh, was?“ erwidert Florian benommen. „Spiel nicht den Unschuldigen! Ich weiß, dass Du die ganze Zeit meine Rosen klaust!“ wirft er ihm schäumend entgegen, während sein Kopf hochrot anläuft. Erst jetzt erkennt Florian die Situation, denn er war mitten in den Rosenstrauch des alten Mannes gefallen. Mit Rosenstacheln übersäht steht Florian wieder auf, während die Hunde hinter ihm vor dem Zaun verrücktspielen. „Ich lass mir meine Arbeit von Euch jugendlichem Pack nicht mehr zerstören. Von niemanden! Erst recht nicht von Dir!“ schreit der alte Mann und greift hinter sich nach einem Gegenstand. Es ist einer dieser Augenblicke, in denen Florian eine wichtige Entscheidung treffen muss. Entweder er lässt den wahnsinnigen Rosenzüchter gewähren und endet in ein paar Tagen als Todesanzeige in der lokalen Wochenzeitung oder er handelt. Florian entscheidet sich für letzteres. Seine Augenbrauen treiben tiefe Furchen in seine Stirn, seine rechte Hand umgreift den Tennisball mit entschlossener Bestimmtheit. Mit voller Kraft wirft er den Ball über den Zaun, um kurzerhand selber hastig darüber zu klettern.
Währenddessen nimmt Frau Hessen einen kleinen Schluck von den mittlerweile warmen Earl Grey Tee und tupft sich mit ihrer selbst gestrickten Stoffserviette ein paar Tropfen von ihren Lippen. Momente später betrachtet sie, wie ein gelber Tennisball an ihrem frisch gestrichenen Lattenzaun entlang springt, gefolgt von aufgeregt bellenden Hunden, einem panisch schreienden Mann, der wiederrum von einem brüllenden älteren Herrn mit einer Harke verfolgt wird. Frau Hessen leert mit einem Zug die feine Porzellantasse, bevor sie von auf ihrem Stuhl aufsteht und ausdruckslos die Tür des Gartenhäuschen hinter sich schließt.
Florian vernimmt mit Erleichterung, wie die wutentbrannten Beschimpfungen seines Verfolgers Schritt um Schritt verstummen. Vollkommen außer Atem lehnt er sich an einen Baum und beobachtet, wie einige Hundebesitzer ihre frei umher laufenden Schützlingen wieder einzufangen versuchen. Wenig später entscheidet er sich, seine restliche Mittagspause doch noch mit dem fettigen Essen des Restaurant zu verbringen. Minuten verrinnen bevor er die schwere Glastür öffnet. Mit dem Glauben der drückenden Hitze der Großstadt zu entkommen, betritt er die drückende Hitze des Schnellrestaurants. Die übergewichtige Ursache steht kollektiv nur wenige Schritte von Florian entfernt vor dem Thresen und saugt mit voluminösen Lungen erschöpft jedes Gramm frischer Luft gierig durch die offenen Münder. Er lässt den Kopf resigniert hängen, bis sein Magen knurrend Essbares einfordert und ihn schließlich doch überredet, sich in die Schlange zu stellen. Florian war noch nie in einer Sauna, doch genau diese Situation im Restaurant wird ihn Jahre später behaupten lassen, dass er auf seiner Japanreise in einer Sauna die komplette Sumo Nationalmannschaft getroffen hat.
Der warme Schweiß tropft aufs nasse Textil und findet seinen Weg in jegliche Körpereinbuchtungen, während die dicke Bäuche abwechselnd eine Symphonie des Heißhungers aufführen. Als er Minuten später mit endgültig verlorengegangener Libido den Thresen erreicht und in das entnervte Gesicht der Bedienung schaut, überkommt ihn doch ein Gefühl der Vorfreude. Er bestellt sein Essen und ist der festen Überzeugung, dass die gesamte Belegschaft des Schnellrestaurants eine zweistellige Anzahl von Schlaftabletten geschluckt haben muss. Die Bedienung füllt behäbig sein Tablett mit Essen. Als er spürt, wie eine weiche Fettmasse aus dem Hinterhalt sich an seinen Rücken presst, unterdrückt er rasch den Versuch seiner Magensäure Tageslicht zu entdecken und fordert seine Bedienung mit bestimmter Tonlage dazu auf, ihm das restliche Essen an seinen Platz zu bringen. Er jongliert das Tablett durch das Schnellrestaurant zur Terrasse nach draußen und setzt sich zufrieden an einen Tisch, während ihm der große Sonnenschirm mit kühlen Schatten versorgt. Als er seinen saftigen Hamburger betrachtet, schütten die Geschmacksknospen auf seiner Zunge Enzyme in die Blutbahn, welche eine erhöhte Speichelproduktion zur Folge haben. Der Kiefer spannt angestrengt seine Muskeln an, welches das Öffnen des Mundes zur Folge hat. Das Brötchen mit dem gebratenen Fleisch wird in die Mundhöhle geschoben. Das motorische Nervensystem veranlasst die Muskeln des Kiefers sich erneut anzuspannen, um diesmal den Mund zu schließen und das abgetrennte Stück Essen würde durch wiederkehrende Kaubewegungen zerkleinern werden. Die ausgeschüttete Speichelflüssigkeit würde den entstandenen Brei für die Verdauung vorbereiten und im finalen Akt durch den Rachen in die Speiseröhre befördern, um den Magen mit überlebensnotwendigen Bestandteilen der Nahrung zu versorgen. Doch irgendetwas läuft schief. Als Florians Backenzahn in pedantischer Gehorsamkeit beginnt das abgetrennte Stück Hamburger zu zermalmen, löst die vierte Wurzelbehandlung vom Vortag einen unbeschreiblichen Schmerz aus und als Florian seinen Mund im Affekt der Qual öffnet, platscht der abgebissene Hamburger auf sein Tablett. In diesem Augenblick erreicht die Bedienung von der Theke seinen Tisch. „Ich nehme an, dass sie den Rest nicht mehr essen wollen.“ sagt sie mit angewidertem Gesichtsausdruck und verschwindet daraufhin wieder im Schnellrestaurant, als Florian sie mit hastiger Handbewegung fortschickt. Mit zugekniffenen Augen und zitternder Hand sucht er verzweifelt nach Schmerztabletten in seiner Hosentasche, welche, wie er sich nach der erfolglosen Suche erinnert, in der rechten Schublade seines Bürotischs verweilen. Er verlässt mit knurrendem Magen das Restaurant und in gekrümmter Haltung rennt er mit der Hand auf seiner Wange zum Verwaltungsgebäude des Easy Fix Unternehmens zurück. Es ist 13:04, für Florian vergehen einige Stunden, doch seine Büro Uhr zeigt an, dass er nur einige Minuten bis zu seinem Büro gebraucht hat. Er platziert zwei Tabletten auf seiner Zunge und nimmt, ohne den warnenden Gedanken einer möglichen Mundfäule Beachtung zu schenken, einen tiefen Schluck aus dem Glas von Svens Diät Saft. Die Schmerzmittel wirken schnell und Florians Leiden werden wohl bis zum nächsten Verzehr von Essen ein Ende genommen haben. Erst jetzt bemerkt er die Stille, welche sich stumm in seine Ohren drängt. Nicht nur in seinem Büro fehlt das nervige Schwingen der Stimmbänder, sondern auch im angrenzenden Großraumbüro herrscht absolute Ruhe. Was um diese Uhrzeit vollkommen ungewöhnlich ist, denn normalerweise schlagen sich seine Arbeitskollegen gerade jetzt für die gelungenen Mittagsgespräche im Akkord gegenseitig auf die Schulter.
Doch Florian erspäht keinen einzigen Kollegen, als er verwirrt an den verschiedenen Bürotischen vorbei streift. Kalter Schauer fließt in Strömen über seinen Rücken hinunter, als er den großen Kalender einer Kollegin erblickt. Rote Farbe markiert das heutige Datum. Er betrachtet die Buchstaben, die erst als Wörter zusammen gereiht eine vernichtende Untergangsstimmung in ihm entfachen: „12:30 – Meeting mit neuen Abteilungsleiter (Hr. Canhock)“. Er blickt zur geschlossenen Tür des Sitzungsraumes, die immer offen ist, außer es tagt eine Versammlung. Sein Ohr presst sich gegen die schwarz lackierte Holztür und kann undeutliche Stimmen erkennen. Für einen Moment hält er inne. Der Gedanke die Tür zu öffnen und dahinter eine große Menge an ungeliebter Aufmerksamkeit zu finden, lassen ihn instinktiv zurückweichen. Unter Hochdruck geht er Szenarien durch, wägt jede erdenkliche Konsequenz seines zu späten Erscheinens oder seiner Abwesenheit gründlich ab. Noch bevor eine Entscheidung seine Umsetzung findet, öffnet sich auch schon die Tür. Florian starrt in die abwesenden Augen von Sven, der mitgenommen an ihm vorbei läuft. Auch der Rest seiner Arbeitskollegen trottet zerstreut an ihm vorbei. Er wirft einen kurzen Blick in den Versammlungsraum, wo sich ein Mann im schwarzen Nadelstreifenanzug, durch die gegelten Haare streicht und mit konzentriertem Blick in sein Designerhandy spricht. Erst als sich ihre Blicke treffen, wendet sich Florian erschrocken ab und begibt sich ins Büro, in dem Svens Augen immer noch abwesend ins Leere driften. „Alles klar? Was ist denn passiert?“ fragt Florian neugierig. Sven scheint ihn erst jetzt wahrgenommen zu haben und nimmt einen Schluck aus seinem Glas. „Die Hälfte der Mitarbeiter werden wohl am Ende des Monats entlassen werden.“ antwortet er resigniert. „Was? Wieso?“ kann Florian nur darauf erwidern. „Unser Unternehmen wird von irgendeiner amerikanischen Firma übernommen und wir sind denen wohl in der Verwaltung zu viel. Ab nächster Woche finden sogenannte Feebackgespräche statt, in denen sich entscheiden wird, wer gehen muss.“ sagt er und schüttelt leicht den Kopf. Florian schaut aus dem Zimmer in das anliegende Großraumbüro und sieht wie Jasmina weinend auf ihrem Stuhl sitzt und eine Kollegin ihr tröstend ein Taschentuch und aufmunternde Worte gibt. Als er sich einige Minuten später, seiner Arbeit widmet, beherrscht ein ungenehmes Schweigen sein Büro, welches auch erst am Ende des Arbeitstages gebrochen wird. „Bis Morgen.“ verabschiedet sich Sven ungewohnt wortkarg und lässt Florian für einige Augenblicke alleine zurück, bis er sich auch dazu entschließt die Heimreise anzutreten. Er ist sich nicht sicher, ob es die starke Wirkung der Schmerztabletten ist, die ihn so gleichgültig gegenüber der Vorstellung machen, dass er in einem Monat womöglich keine Arbeitsstelle mehr hat. Die Betriebslampe seines Monitors verliert an Farbe und erlischt endgültig, als Florian seinen PC ausschaltet. Wenig später verlässt er das Bürozimmer und lässt anschließend auch das Verwaltungsgebäude hinter sich.
Müde nickt er dem Busfahrer zu und setzt sich in die letzte Sitzreihe des leeren Omnibusses. Verloren betrachtetet wie graue Häuser verschlafen ihre Schatten auf die belebte Straße werfen. Die Stadt pulsiert mit unerschöpflichen Leben vor seinen Augen und doch prallen die grellen Lichter aussichtslos an der matten Glasscheibe des Busses ab. Als er den Omnibus an seiner Haltestelle verlässt, berührt seine abgenutzte Sohle den warmen Beton des Bürgersteiges. Florians verweilt einige Momente und betrachtet erschöpft wie der Bus die Lämmerstraße entlang fährt und sich stetig von ihm entfernt. Die Lämmerstraße zieht sich wie ein Strich durch das Wohnviertel. Hier und da besetzen kleine Straßencafés den Bordstein. Auf den Sitzbänken unterhalten sich heiter die unterschiedlichsten Sorten von Menschen miteinander oder tauchen stumm in die Welt der Literatur ab, während aufgeregte Stimmen an ihnen vorbeiziehen. Diese Straße hat eine seltsame Anziehungskraft für die Einwohner der Großstadt, denn findet man dort Obdachlose, Unternehmensführer, Künstler oder einfache Leute, die ihrem Tageswerk nachgehen oder einfach nur die Ausstrahlung der Straße genießen. Auch Florian schlendert mit beiden Händen in der Tasche und einem Lächeln auf dem Pflastersteinen entlang. „Wir haben den Käse vergessen. Wie oft habe ich Dir heute schon gesagt, dass wir den Käse nicht vergessen dürfen?“, „Das müssen wir morgen definitiv nochmal mit dem Aufsichtsrat besprechen.“, „Tobias, wir sind seit 5 Wochen ohne feste Wohnung, also reiß Dich zusammen!“ Diese Sätze schnappt Florian aus der Menge auf, kurz bevor er an der Seitenstraße zum Stehen kommt. Eine errötete Ampel verweigert ihm und den Passanten den Zugang auf die gegenüberliegenden Straßenseite. Während Auto um Auto hektisch an Florian vorbeizieht, fixiert er konzentriert den Bordstein auf der anderen Seite der Straße. Nur kurz tauscht er Blicke mit den Menschen neben ihm aus. Er schüttelt seine Beine aus, spannt diese kurz darauf an und bringt den Oberkörper, leicht nach vorne gebeugt, in eine athletische Position. Als die Ampel das rot schimmernde Ampelmännchen in ein leuchtendes Grün färbt, schüttet Florians Körper große Mengen von Adrenalin in seine Blutbahn. Seine Pupillen weiten sich. Es ist jener Zeitpunkt gekommen, in dem Florian seine Umwelt nur noch in Zeitlupe wahrnimmt. Mit fanatischen Gesichtsausdruck geht er im schnellen Schritt über die Straße, seine Augen fixieren immer noch die Zielgerade, den Bordstein. Nur noch wenige Sekunden und Florian würde das eigen kreierte „Straßenseiten-Wettrennen“ gewinnen, von dem unter den Passanten nur er weiß, dass es existiert. Bevor er den gewinnbringenden Fuß auf den Straßenbordstein setzt und die damit verbundene Gewissheit erntet, damit rekordträchtige 27 Wettrennen in Folge gewonnen zu haben, schwenkt er siegessicher seinen Blick nach links und rechts. Aus dem Augenwinkel, seiner weit aufgerissenen Augen, naht ein Schatten heran. Florian muss hilflos mit ansehen, wie eine Rentnerin mit Gehstock, im brüchigen Schritt ihres Alters, die Straße als erstes überquert. Ein kurzer Schauer von Wut lässt Florian ein unterdrücktes „Verdammt“ über die Lippen kommen, womit er kurz die Aufmerksamkeit von einigen verwunderten Passanten auf sich zieht. Zügig verlässt er den Ort seiner Niederlage und biegt ein paar Schritte weiter in eine kleine Seitenstraße ein, in der sich seine kleine 3 Raum Wohnung befindet. Die Eingangstür verweigert sich nur kurz dem Eintritt, doch mit einem kraftvollen Ruck findet er letztendlich Zugang zum kleinen Innenhof, der für Florian zugleich eine vollkommen neue Welt ist. Der Großstadtlärm dringt kaum hörbar in den Hof, während der Geruch von Essen und frischer Wäsche aus den offenen Fenster entweicht und abwechselnd mit Florians Nase spielt. In einem Metallständer lungern einige vernachlässigte Fahrräder und werfen dünne Schatten auf den steinigen Boden. In der Hof Mitte kämpft ein kleines Gartenbeet tapfer gegen die tristen Wände der mehrstöckigen Häuser, die es bedrohlich umranden. Die müde gewordene Sonne bemalt diese mit einem kräftigen Orange. Florian betrachtet den Innenhof mit einem zufriedenem Gesicht und verabschiedet sich mit einem langen Atemzug von dem angestauten Stress des heutigen Tages. Dieser Ort mag für jedes andere Auge nichts weiter als eine Ansammlung baufälliger Gebäude sein, doch für Florian war es dagegen ein Ort der ihm Zuflucht und Geborgenheit schenkt. Etwas was man nur Zuhause finden kann.
Er lässt den leeren Briefkasten links hängen und nähert sich der Eingangstür. „Du mieser kleiner Bastard!“ hallt es durch den ganzen Innenhof. Erschrocken schaut Florian blinzelnd nach oben und erspäht einen alten Mann, der sich mit einem Kissen an der Fensterbank platziert hat und ihn einen wütenden Blick ins Gesicht schmetterte. „Ach halten Sie doch einfach ihre großspurige Klappe und regen Sie sich bloß nicht zu sehr auf alter Mann, das tut ihrem vertrocknetem Herzen nicht gut“ ruft Florian zurück und macht dabei eine provozierend beruhigende Handbewegung. Wild kaut der alte Mann auf seinem künstlichen Gebiss, unfähig eine passende Antwort zu finden. „Dann bring wenigstens Dein Schachbrett mit, ich mach schon mal die Tür auf“ wirft er mürrisch zu Florian in den Hof. Der alte Mann mit den kurzen weißen Haaren ist Herr Scharnowski und wohnt direkt über Florian im zweiten Stock. Die beiden spielen jeden Tag eine Runde Schach. Florian mag die kauzige Art von Herrn Scharnowski und seinen selbst gemachten Kräutertee. Herr Scharnowski hingegen mag die Gesellschaft von Florian und seine Geschichten von Afrika. Die Treppen knirschen erschöpft unter den Schritten von Florian, als er diese mit einem Schachbrett unter dem Arm hinaufsteigt und durch die offene Tür ins Wohnzimmer von Herrn Scharnowski schlendert. Florian wunderte sich jedes Mal aufs Neue, wie ein Mann in diesem Alter die große Wohnung in einen so ordentlichen Zustand halten konnte. Denn seit Florian eingezogen ist, wohnt Herr Scharnowski alleine über ihn. Der einzige Besuch den er neben Florian regelmäßig bekommt, ist der Vermieter, der unter dem Deckmantel der Fürsorge sorgfältig überprüft, wann er die Wohnung an einen jüngeren Mieter übergeben kann.
Antike Möbel schmücken das große Wohnzimmer. An der Wand hängen einige Gemälde, die den unverkennbaren Pinselstrich von Vincent van Gogh auf ihrem Papier tragen. Nahe dem Fenster stehen sich zwei alte Ledersessel gegenüber, in einem sitzt Herr Scharnowski, der sich gerade nach vorne beugt, um eine heiße Tasse Kräutertee auf den Tisch zu stellen, der andere erwartete mit sesshafter Geduld die Zuneigung von Florians Sitzfleisch. Für einen Augenblick beobachtet Florian wie sorglose Sonnenstrahlen unbedrängt durch das offene Fenster treiben und den kleinen Tisch mit sanften Abendfarben bedecken, während heißer Dampf aus der Umklammerung des rostigen Teebechers entweicht, um ungesehen mit den Sonnenlicht zu verschmelzen. In Florian erwacht kurz das Streben, diesem Bild mit Pinsel und Farbe der Vergänglichkeit zu entreißen, doch kurz darauf überkommt ihn wieder das Gefühl der Kraftlosigkeit.
„Da bist Du ja endlich. Du hast ja Ewigkeiten gebraucht. Ich dachte ihr junges Pack seid so dynamisch und flott auf den Beinen.“ unterbrach Herr Scharnowski seine Gedanken abrupt. Florian schüttelt leicht den Kopf und setzt sich in den Sessel. „Der Gedanke meine kostbare Freizeit mit einem launischen, unausstehlichen und verbitterten alten Mann zu verbringen, hat mich nicht gerade motiviert mich zu beeilen.“ sagt er trocken, ohne seinen Kopf zu heben, als er das Schachbrett öffnet und die Figuren auf den Tisch verteilt. „Verstehe.“ sagt Herr Scharnowski mit ausdrucksloser Miene. „Ich habe Dir einen Kräutertee gemacht, so wie Du ihn magst, mit viel Zucker und wenig Tee.“ fügt auffordernd hinzu. Während Florian das Schachbrett sorgfältig mit Holzfiguren schmückt, zieht Herr Scharnowski eine dicke Zigarre aus seiner Hemdtasche, zündet sie an und füllt mit einigen kurzen Zügen seine Lungen mit Rauch, bevor er ihn paffend wieder hinaus stößt. Also Florian den Rauch bemerkt, sagt er mit einer verächtlicher Geste Richtung Zigarre „Wissen Sie was? Sie sollten sich die Zigarette besser tief in ihren Hintern schieben, das wäre besser für ihre Gesundheit„ was Herr Scharnowski mit einem hämischen Grinsen und einem zustimmenden Nicken erwidert. Er eröffnet die Partie mit einem Zug und betrachtet Florian kurz. „Weißt Du was? Es ist streng genommen eine Zigarre.“ antwortet der alte Mann mit ruhiger Stimme. „Wissen Sie was? Niemand mag Klugscheißer und erst recht nicht wenn sie alt und griesgrämig sind„ sagt er mit kratzender Stimme, während er eine Schachfigur bewegt. Als Herr Scharnowski den grauen Dunst mit einem kräftigen Atemstoß aus seinen Mund bläst, wandert dieser über das Schachbrett, verweilt für einen Augenschlag mit vergänglicher Umarmung bei den hölzernen Figuren, bevor es einige verträumte Staubkörner mit wilder Leidenschaft verwirbelt, um mit letzter Kraft Florians Nasenflügel zu erreichen. Der Zigarrenrauch bringt Florian zum Husten. „Ist das der Grund warum ich nie eine Frau abbekommen habe?“ fragt Herr Scharnowski mit gespielter Neugier. „Das lag wohl eher an ihrem affenähnlichen Aussehen, mit dem sie wohl selbst Zirkusbesucher erschrocken hätten.“ erwidert Florian trocken, worauf Herr Scharnowski das Zimmer laut mit Lachen füllt. „Und Florian, was macht die Liebe?“ fragt der alte Mann, als er beobachtet, wie Florian einen Schluck aus der Tasse nimmt. „Ah, ist das das Märchen, das gestern im Fernsehen lief?“ fragt er mit angehobener Stimme. „Die hab ich ein paar Mal gesehen, hat mir nicht gefallen. Das ist nichts für mich.“ fügt er mit einem leichten Kopfschütteln hinzu. Herr Scharnowski lässt für einen Moment die Stille gewähren, bevor er gemächlich mit seinen faltigen Händen eine Schachfigur bewegt. „Zynismus steht Dir nicht Florian. Dafür bist Du noch zu jung.“ Er zieht ein weiteres Mal an seiner Zigarre und betrachtet mit selbstzufriedenem Blick, wie Florian seine Holzfigur nach vorne bewegt.
„Erzähl mir eine kleine Geschichte Florian. Erzähl mir etwas von Afrika.“ „Das ist sicherlich eine Möglichkeit um einzuschlafen“ sagt Florian mit leiser Stimme. Er hält für einen Moment inne und lässt seinen nachdenklichen Blick durchs Zimmer streifen und hebt seinen Mund zu einem leichten Schmunzeln. „Also gut, es muss wohl im Sommer gewesen sein, ich war erst seit ein paar Wochen in Jariban stationiert und sollte mich dort erst mal akklimatisieren. Was verständlich war, denn alles war so neu und fremd für mich. Ich hatte mich zwar viele Monate darauf vorbereitet aber es macht dann doch einen erheblichen Unterschied wenn man letztendlich wirklich dort ist. Es veränderte sich alles und veränderte mich. Die pralle Sonne, die einen Mittags kaum atmen lässt. Diese endlosen Steppen, die hier und da von Mahagoni- und Eukalyptusbäumen bedeckt wurden. Oh, sie hätten diese fantastische Landschaft sehen sollen. Wenn Sie dort gewesen wären, hätte Ihnen das mit Sicherheit gefallen. Doch nicht nur das war anders. Wenn man die Elendsviertel sieht, ich meine die existierten für mich erst dann, als ich sie sah und plötzlich waren es keine Bilder mehr, die mal zufällig zwischen irgendwelchen Filmen in der Werbepause laufen. Sie waren für mich in dem Moment real als ich sie betrat. Alles war greifbar und so nah. Ich konnte den Gestank der Krankheit und Verwesung riechen, der sich dominant durch das ganze Viertel zog. Dieser widerliche Geruch der meine Sinne betäubte und doch wohnten dort tausende Menschen, die einem lächelnd begrüßten. Diese Menschen haben nichts und doch wird ihnen Tag für Tag etwas genommen. Dem zum Trotz empfangen sie Dich ohne Vorbehalt oder Misstrauen. Das hatte mich damals zutiefst bewegt.“ Florian hält für einen Moment inne. „Aber das ist gar nicht das, was ich erzählen wollte. Es geht vielmehr um das Dorf nahe Jariban, was ich fortan jeden Tag besuchen sollte. Da es keine Schule hatte, sollte ich den Kindern dort jeden Tag etwas Mathe beibringen. Die Organisation meinte, dass es mir helfen sollte, mich besser einzuleben und die Kinder würden etwas dazu lernen. Also fuhr ich jeden Tag mit ein paar Arbeitskollegen ins Dorf, wo wir jedes Mal von unzähligen Kindern begrüßt wurden, die neben dem Geländewagen liefen und uns lachend zuwinkten oder leicht an die Karosse schlugen. In einer kleinen Lehmhütte zeigte ich den ungefähr 60 aufmerksamen Augenpaaren die Grundregeln von Mathe. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich meine Sache besonders gut machte, nicht dass sich die Kinder darüber beschwerten, denn sie hätten wohl selbst einen ausführlichen Diskurs über die industrielle Revolution gespannt zugehört aber ich war mit der Art des Unterrichts nicht zufrieden. Einige Tage zerbrach ich mir den Kopf was ich ändern könnte und kam damals auf eine Idee, die mir sehr gefiel. Am nächsten Tag malte ich die Umrisse einer Uhr in den Sand, ein paar Stöcke dienten mir als Minuten- und Stundenzeiger. Die Kinder sollten nun möglichst viele Kombinationen finden, wo die Quersumme der Minuten, den Wert der eingemalten Stunde ergab. Also wäre zum Beispiel die 3:21 eine mögliche Kombination gewesen. Ich dachte mir, dass ich ihnen so Mathe und die Uhrzeit erklären könnte.“
Herr Scharnowski löst den Blick von dem Schachbrett und sieht Florian mit fragenden Blicken an.
„Ja ich weiß, die Kinder verstanden es auch nicht und kurz darauf nahm ich es auch wieder aus meinem Unterricht heraus. Aber als ich einige Tage später im Auto auf meine Arbeitskollegen und die Fahrt nach Jariban wartete, kam ein kleiner Junge schüchtern auf mich zu. Ich schaute neugierig aus dem Fenster der Fahrtür, als er mit einem Stock eine 4 und 22 in den Staub zeichnete. Meinem verdutzten Gesichtsausdruck erwiderte er mit einem Lächeln, bevor er eilig zurück ins Dorf rannte. Das war der Tag, als ich Asad zum ersten Mal bewusst getroffen habe.“
Mit einem vergnügten Lächeln nimmt Herr Scharnowski eine geschlagene Figur von Florian und platziert sie neben dem Schachbrett. „Das war eine wunderschöne Geschichte aber ich habe schlechte Nachrichten für Dich.“ Florian schaut entgeistert auf das Schachbrett. „Was schon wieder Schach Matt?“ empört sich Florian mit aufgeregter Stimme und ballt seine Hand zu einer Faust. „Das nächste Mal werde ich Ihren faltigen Hintern in Grund und Boden spielen. Ich hoffe Sie sind sich dieser Tatsache bewusst alter Mann!“ sagt er lautstark und untermalt seine Aussage, indem er seinen Zeigefinger an den linken Rand seines Halses legt und diesen ruckartig an die andere Seite zieht. Herr Scharnowski nimmt dies mit einem gespielten Gähnen und einer arroganten Handbewegung war. Florian steht mit einem Grinsen auf, sammelt die losen Holzfiguren auf und legt diese in das Schachbrett. Er klopft dem älteren Herrn auf die Schulter und schließt mit einem „Bis Morgen, Herr Scharnowski“ die Eingangstür hinter sich.
Das Knarzen der Tür begleitet ihn, als er seine Wohnung betritt und das Schachbrett in die Ecke des schmalen Flurs stellt. Er löst den Knoten der Krawatte und lässt sie achtlos auf den Boden fallen. Das gleiche Schicksal teilt kurz darauf sein durchschwitztes Hemd und der ausgedienten Ledergürtel, die sich mit einem Platz auf dem Staub übersäten Teppich zufrieden geben müssen. In der Küche öffnet Florian das Fenster zum Innenhof und setzt sich an den überfüllten Plastiktisch. Der lau gewordene Abendwind lässt die Gardinen bedächtig auf und ab wiegen. Seine Ellbogen liegen auf dem Tisch und stützen mit der Faust seinen Kopf. Sein Blick fällt nachdenklich ins Leere, während er schwer die verbrauchte Luft aus seiner Nase stößt, um sie danach langsam wieder einzuatmen. Seine Erinnerungen bringen ihn zurück nach Afrika. Er spürt die drückende Hitze auf seiner Haut und schmeckt seinem salzigen Schweiß auf der Zunge. Sein Herz schlägt eifrig und füllt ihn kompromisslos mit Leben. Das Lachen der Kinder umgibt ihn, bis Schüsse es zerreißen und Schreie die Luft mit Angst füllen. Er spürt den Schmerz an seinen Händen und hebt den Blick in das lächelnde Gesicht von Asad. „Bald werde ich der Löwe von Afrika sein„. Der Satz steigt verschwommen in sein Bewusstsein und es wird Schwarz vor seinen Augen. Langsam nimmt er einen Schluck aus dem Glas und betrachtet das verschmutzte Geschirr, das sich im Waschbecken wie die ungezähmten Wellen eines tobenden Sturmes türmen. Florian ist gerade mitten in diesem Sturm. Der krachende Himmel stürzt auf ihn nieder, tosender Wellenschlag brandet unermüdlich an dem mürben Holz seines Bootes und lässt es auseinander brechen. Woge um Woge verschlingt ihn die wütende See, bis seine verzweifelnden Schreie verstummen und seine Lungen überfluten. Doch Rettung findet ihn im letzten Herzschlag, als sein verloren geglaubter Wille erschöpft auf ein tapferes Boot gezogen wird. Der Sturm lichtet sich, die See beruhigt sich, und das Boot kehrt unbedrängt in den sicheren Hafen ein. Das Land ist nur wenige Atemzüge entfernt und doch kauert er immer noch kraftlos und benommen im Bauch des Schiffes. Florian streicht sich über die Stirn und durchs Haar, bevor seinen Mund mit seiner Hand bedeckt. Das Gefühl der Einsamkeit keimt im Magen und krallt sich seinen Weg in den Rachen. Seine Gedanken kreisen um Herrn Scharnowski und wie ähnlich er ihm schon geworden ist. Wie er, wird Florian bald auch den trostlosen Tag in seiner gesamten armseligen Länge alleine ertragen und das Leben antriebslos an sich vorbeiziehen lassen. Nur wird er nicht den zweifelhaften Luxus haben, sich Geschichten von einer Person anzuhören, die die gleiche Verbitterung wie er in sich trägt und sich verzweifelt an eine unwiederbringliche Vergangenheit klammert. Er wischt sich sein Selbstmitleid von der Wange und verlässt die Küche, um im Wohnzimmer seine Sinne mit Fernsehbildern zu betäuben. Stunden später schläft er mit der festen Überzeugung ein, dass er alleine ist. Alleine auf einem überbevölkerten Planeten.
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