Ihre Füße schlurfen über den grau überzogenen Beton der Fußgängerzone und hinterlassen auf ihrem Weg zerknitterte Regenpfützen. „Hey, pass auf!“ sagt ihr Begleiter. „Elsa!“ ruft er erneut und tippt sie an. Erst jetzt hebt sie ihren Blick. „Ja, was is‘n?“ fragt sie. „Verhalt' Dich unauffällig und schau nicht nach rechts!“ antwortet er eindringlich. Sie blickt nach rechts. „Wieso, was soll‘n dort sein?“ „Ein Penner auf 2 Uhr.“ nuschelt er, während er seinen Regenschirm zur Seite neigt und dabei angestrengt den Boden betrachtet. Erst jetzt erspäht sie den Obdachlosen, der vor dem Einkaufszentrum sitzt. Er trägt eine verlebte Mütze, aus der seine ungewaschenen Haare herausquellen. Unter seinen buschigen Augenbrauen verweilt ein trauriger Blick, der scheinbar ins Leere irrt, während sich zwischen dem wuchernden Bart das Fragment eines Lächelns verbirgt. Seine verdreckten Finger klammern sich an eine vom Regen durchtränkte Pappe, auf der mit schwarzer Farbe Ich will einfach nur meine Kindheit zurück geschrieben steht und dessen Worte mehrfach nachgezogen wurden. Er bemerkt nicht, wie Elsa für einige Augenblicke einfach nur dasteht und ihn anschaut, ehe sie aus ihrer Jacke einen Stift und ein Taschentuch hervorkramt. „Was machst Du denn da? Komm, dafür haben wir keine Zeit.“ ruft ihr Begleiter entnervt und geht mit einer abwinkenden Handbewegung weiter. Sie faltet das Taschentuch zusammen, steckt den Stift wieder in ihre Tasche und läuft zu dem Obdachlosen. „Hallo, mein Name ist Elsa.“ sagt sie und streckt ihm ihre Hand entgegen. Für einige Augenblicke blickt er zu ihr auf. Als sich die Verwirrung aus seinen Pupillen verflüchtigt hat, legt er die Pappe zur Seite und wischt mit der Hand über seine Jacke. „Das ist ein schöner Name.“ sagt er mit verlegener aber brummiger Stimme, während er ihre Hand schüttelt. Sie erwidert ihm mit einem Lächeln. Fest umschließt sie seine Hand, zieht an ihr und zwingt ihn zum Aufstehen. Nur kurz schaut sie zur Pappe auf dem Boden und streicht über seine immer noch verdreckte Hand. „Heute ist so ein schöner Tag und genau das wünsche ich mir für Dich.“ sagt sie und lässt den Obdachlosen mit einer verdutzten Miene und einem Taschentuch in der Hand zurück. Er schaut ihr hinterher, wie sie zu ihrem Begleiter eilt und dabei in jede Regenpfütze springt, die ihren Weg kreuzt. „Du hast dem Penner doch nicht wirklich noch Geld gegeben oder?“ fragt er entsetzt. „Ach quatsch, das hätte er eh nicht gewollt.“ erwidert sie. „Wieso?“ Ihr Blick wandert über die Schaufenster der Geschäfte und die Silhouetten, die an ihnen vorbeihasten. „Weil er aufgehört hat und schon lange darüber hinaus is‘. Er is‘ hier, weil er die Schnauze voll von dem ganzen Wahnsinn hat. Das hat er sich so ausgesucht. Für ihn sind die Fußgänger nichts anderes als Zombies, entstellte Außerirdische, die benommen ihm vorbeitrotten. Die Brücke, unter der er pennt, is‘ für ihn nichts weiter als eine Höhle, an der rastlose Schiffe vorbeirauschen. Sein Schlafsack is‘ sein undurchdringbarer Kokon und jeder Tag hält ein Abenteuer für ihn bereit. Er spürt den Regen auf seiner Haut und versteckt sich nicht vor ihm. Er will kein Mitleid oder bedrucktes Papier, sondern etwas anderes.“ Ihr Begleiter lässt die Augenbrauen in die Höhe schnellen. „Ein vollgekritzeltes Taschentuch?“ „Genau.“ antwortet sie ihm knapp. „Sag mal, bist Du auf Drogen?“ entgegnet er mit einem Kopfschütteln. Sie schaut zu dem Obdachlosen zurück, der ihr Taschentuch aufgefaltet hat und es aufmerksam betrachtet. „Ja, aber ich werde damit aufhören.“ sagt sie und springt mit einem Lächeln in eine Pfütze, aus der zahllose Regentropfen herausspringen.
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Sonntag, 16. September 2012
Drogen
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