Mittwoch, 11. Juli 2012

Katastrophale Wünsche


Würde man mir aus unerfindlichen Gründen die indiskrete Frage stellen, wie ich mich denn als bodenständig gebliebener Zeitgenosse selber so einschätze, dann schwängen meine narzisstischen Stimmbänder natürlich sofort die schönsten und blumigsten Adjektive in die verdutzte Grimasse meines Gegenübers, ehe mich meine vom Selbstzweifel zerfressene Seele abrupt von diesem heutzutage allzu bekannten Wesenszug der Selbstdarstellung abdrängen würde, um meine Zunge mit dem unterwürfigsten Wortschatz seit Jesus Christus zu überziehen, sodass sich sogar der Dalai Lama höchstpersönlich als Anerkennung meiner christlichen Charakterzüge ans Kreuz nageln würde. Doch käme es mir trotz meiner objektiven Selbstwahrnehmung nie in den Sinn, mich als gehässig oder gar missgünstig zu beschreiben. Zwar überkommt mich hin und wieder der aufflammende Wunsch meine neureichen Nachbarn mit einer rostig gewordenen Kreissäge zu zergliedern, um deren speckigen Hinterlassenschaften an den hiesigen Dönerladen zu verscherbeln, doch ist dies nur eine Randerscheinung und spiegelt mitnichten die voluminös ausgefallene Gutherzigkeit meiner Persönlichkeit wider. Vielmehr beseelt es mein Herz mit Freude, wenn ich dem verwahrlosten Obdachlosen in der Fußgängerzone einen Euro in seinen Kelly-Family-Gedächtnis Hut werfe oder mit einem Kasten Krombacher Bier vollkommen selbstlos den Regenwald vor der uneingeschränkten Rohdung errette.
Umso mehr hatte es mich überrascht, nein, genauer gesagt schockiert, als ich mich bei einem Gedanken ertappte, der meine gesamte Gutmütigkeit von Grund auf in Frage stellte und tiefe Gruben in meine Stirn schnitzte. Nun könnte der geneigte Leser vermuten, dass ich mich in das Besprechungszimmer des Axel-Springer-Verlages verirrte und mir der einsilbige Neo-Dadaismus blutige Ohren bescherte. Doch waren es vielmehr ihre entmündeten Jünger, die mich mit geballter Faust gen aufziehenden Himmel im Bad des Hasses suhlen ließen. Denn machte ich den schwerwiegenden Fehler, dem Gerede der Menschen in der Innenstadt mein Gehör zu schenken. In rudelartigen Trauben standen sie beisammen und diskutierten nicht etwa die substanziellen Konfliktherde unserer Gesellschaft sowie deren Lösungsansätze, sondern echauffierten sich über die überteuerten Pizzabrötchen, der unvorteilhaft gewählten Nagellackfarbe unserer Kanzlerin und der Notwendigkeit sich das neueste Model der Obstsekte anzueignen. Diese Gespräche wurden mit einer Ernsthaftigkeit und Intensität vorangetrieben, dass ich mich fragte, ob dies eine der träge machenden Nebenwirkungen des Kapitalismus ist. Äußert sich der vor Jahrzehnten hart erkämpfte Wohlstand nun etwa darin, dass wir die Zeit zwischen der malochenden Routine damit verbringen, uns mit den ausgeschiedenen Fäkalien einiger Kreaturen mit rudimentär ausgebildetem Strickleiternervensystem zu beschäftigen? Haben wir es wirklich bis auf den Thron der Evolution geschafft, um uns täglich mit der flimmernden Einfältigkeit des Fernsehers betäuben zu lassen?
Als um mich herum mit gehobenen Zeigefinger die aktuellen Überschriften aus den neuesten Tratschblättern im haargenauen Wortlaut rezitiert wurden, blühte in mir nicht nur der sehnliche Wunsch auf, Kugel um Kugel einer großkalibrigen Waffe in das längst verweste Fleisch meiner Mitmenschen zu pumpen, sondern mir auch eine Katastrophe mit astronomischen Auswüchsen herbeizuwünschen. Ich flehte, dass irgendwo in einem Atombunker ein verschlafener Militärangehöriger ganz benommen von der Macht seines Massenzerstörungsapparates den Kopf auf den Auslöser der Atombombenabschussanlage fallen ließe und uns mit einem atomaren Feuerwerk zurück auf das infrastrukturelle Niveau der ostdeutschen Länder befördern würde, sprich dem Mittelalter. Die Menschen hätten überhaupt keine Zeit sich dort stundenlang den Mund über die bunt gefärbte Intimrasur von Manuel Neuer zu unterhalten, sondern sich stattdessen mit radioaktiv verseuchten Knüppeln die Köpfe einzuschlagen, um sich die letzten Essensvorräte und damit auch das eigene Überleben zu sichern. In dieser Welt würde das Hirn zur Lösung von fundamentalen Überlebensstrategien benutzt werden und nicht zur Befriedigung niedrigster Klatschgelüste. Es wäre eine Welt voller Entbehrung und die Rückkehr zur primitiven Jäger- und Sammlergeneration aber wenigstens würde man das Leben richtig leben. Gerade dann, wenn bei einem Kampf mit einem mutierten Säbelzahntiger Aufregung jede Ader im Körper geflutet werden würde.
Von mir aus könnte auch der blonde langhaarige Magier mit Hilfe seiner magischen Löffel-verbieg-Kräfte diesen leicht cholerischen Mann mit der fragwürdigen Vorliebe für gestutzte Schnäuzer unter der Nase von den Toten auferstehen lassen, welcher unsere Welt erneut mit einer hanebüchenen Ideologie und ultimativen Zerstörung überzieht. So würde man in den Straßen der Stadt kein selbstgefälliges Anpreisen von hochgradig überflüssigem Firlefanz mehr vernehmen, sondern vielmehr in die vom Schock gebrandmarkte Gesichter blicken, wenn sie gerade vom Nachbarn erfahren, dass das umzäunte Gebiet außerhalb der Stadt kein edles Ferienreservoir ist und die geräumigen Öfen auch nicht zur Massenherstellung der köstlichen aber überteuerten Pizzabrötchen dient. Es würde das ein oder andere tiefgreifende Gespräch über eine nachhaltige Lebensweise geführt werden, weil jeder Augenblick der Letzte sein könnte. Auch hier wären die Widrigkeiten des Lebens so ausufernd wie die schlechte sexuelle Pointe hinsichtlich des immens ausgebildeten primären Geschlechtsorgans eines Mannes mit afrikanischer Herkunft. Jedoch würden die Menschen dort jeden noch so winzigen Augenblick der Freude zu schätzen wissen und ihn nicht mit halb verschlafener Miene im Mundgeruch des smalltalksüchtigen Gesprächspartners verfaulen lassen.
Egal wie unwahrscheinlich nun eine atomare Zäsur oder eine Wiederbelebung der Seitenscheitelgeneration ist, so verweilt der Wunsch fest in dem Irrgarten meiner Seele. Bis sich dieser endlich mit der Realität vermehrt, bleibt mir nichts anderes übrig, als den Gang durch die Innenstadt mit laut aufgedrehter Rock‘n‘Roll Musik zu meistern und den Tönen einer Generation zu lauschen, die eine Revolution forderte.

3 Kommentare:

  1. Ich finde dass du nicht von Leuten, die sich nicht sonderlich gut kennen, nicht erwarten kannst, sich gegenseitig über weltliche Probleme auszutauschen. Menschliche Beziehungen sind sehr komplex und werden erst nach und nach dazu geeignet sein, kritische Themen zu diskutieren. Mich nervt es allerdings auch oft, wenn ich Dinge von anderen mit anhören muss. Die Lösung sehe ich in Kopfhörern. Ist man völlig selbstlos, wenn man Obdachlosen Geld gibt?

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  2. Es ist ein vollkommen übertriebener Text, den ich daher auch mit dem Label 'unsinn' versehen habe. Von daher sollte man viele bis alle Wörter darin mit einem oder zwei zugekniffenen Augen sehen. Die Quintessenz daraus ist jedoch so zu nehmen wie sie dort steht, denn nervt mich die Diskussion von verdauten Mageninhalt sehr und ich erwarte ja nicht einmal, dass ich überall sokratische Argumentationsstränge vernehme, sondern einfach nur etwas mehr Mischung. Selbst wenn man sich näher mit ein paar Menschen beschäftigt, gewinnt man oftmals einen sehr einseitigen Sichtradius und eine vom Boulevard geformte Meinung wieder. Das regt mich auf.

    Wenn man einem Obdachlosen Geld gibt, erhält man dafür nichts weiter als ein 'Danke', welches sich meist hinter verfärbten Zähnen hervorquält und ist für mich daher auch ein wenig selbstlos. In dem Fall sollte es jedoch wieder überzogen und sarkastisch daherkommen.

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