Montag, 4. Juni 2012

Lauf des Kreises

Der Weg zur Arbeit führte mich durch den hiesigen Stadtpark und so genoss ich die Zuwendung, den heranblühenden Tag in der Gegenwärtigkeit der Natur begrüßen zu dürfen. Eines Tages erspähte ich im morgendlichen Nebel einen Kater, der zwischen den Büschen saß und mich anstarrte. Sein mitgenommenes Fell verriet, dass der Großteil seines Lebens schon längst hinter ihm lag. Ein Leben, welches er wohl in den verdreckten Gassen der Stadt verbrachte und dort auch in zahlreichen Auseinandersetzungen sein Auge verlor, an dessen Stelle nun eine Narbe ihren Platz eingenommen hatte. Er leckte sorgsam seine Pfote, ehe er mich erneut mit seinem Blick fixierte. Ich hatte für ihn nichts von Wert in meinen Taschen, doch konnte ich mich seinen flehenden Augen nicht entziehen und so pflegte ich fortan jeden Morgen ein paar Kleinigkeiten meines Frühstücks mit mir zu tragen, um den Kater mit Nahrung zu versorgen. Mit der Zeit entwickelte sich daraus eine mir lieb gewonnene Angewohnheit, die eines Tages ihr abruptes Ende fand, als er nicht mehr zwischen den Büschen auf mich wartete. Erst Wochen später fand ich seine Überreste nur unweit von dem Platz wieder, wo er mich stets zu begrüßen wusste. Die Natur hatte mit dem Verstreichen von Zeit aus meinem allmorgendlichen Schützling nichts weiter als ein paar Knochen und einen dunklen Fleck auf der Erde hinterlassen. Es betrübte mich, dass er mir keine Gesellschaft mehr leisten konnte und jedes Mal wenn ich diesen Ort passierte, wurde mir die unabwendbare Vergänglichkeit der Dinge mit all ihren endgültigen Wesenszügen bewusst die uns alle umgab. Nur wenige Tage später sah ich, wie einige Sprösslinge zwischen den Knochen und den Überresten seines Fells aus dem Boden ragten. Mit dem Verstreichen von Zeit wuchsen aus ihnen schon bald Pflanzen, dessen zierlicher Stängel stetig an Statur gewann.
Wenn ich diesen Ort nun besuche, erinnert er mich daran, wie mir die Natur zeigte, dass das Ende auch einen Anfang beinhaltet und das hinter der Verderblichkeit der Dinge auch Unvergänglichkeit liegt. So pflegte ich fortan jeden Morgen auf den Weg zur Arbeit eine Flasche bei mir zu tragen, um die dort heranwachsenden Pflanzen mit Wasser zu versorgen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Nur zu, tu Dir keinen Zwang an!