Freitag, 24. Februar 2012

Die schnellen Sechs

Es folgen nun 6 vollkommen zusammenhangslose Mini-'Geschichten', die aus bloßer Lust an der Laune entstanden sind.



Mit dem Daumen wischt er über das Display seines Handys, mit dem seine Freundin einige Augenblicke zuvor mit ihm Schluss gemacht hatte. Er fühlte sich vollkommen aufgelöst, was nicht mit der Tatsache zu begründen war, dass er vor einigen Stunden ein übertrieben teures Geschenk für das 5 jährige Jubiläum erstanden hatte oder ihn die emotionale Zerrissenheit über die gescheiterte Beziehung erdrückten. Es war vielmehr der Sachverhalt, dass die gemeinsame Wohnung auf ihren Namen lief und er in diesem Moment obdachlos war. Doch als er gerade gedankenverloren die Straße überquerte, machte er unverhofft die Bekanntschaft der bezaubernden Jasmina, die hinter der Windschutzscheibe eines doppelachsigen 12 Tonners saß.



Das Flimmern des Bildschirms benetzt ihre Haut mit warmen Farbtönen, als sie die Stille des Zimmers mit dem eintönigen Summen des Computers füllt und das Taschentuch mit der Traurigkeit aus ihrem Gesicht tränkt. Mit ihren Fingerkuppen streicht sie über sein verpixeltes Gesicht und schon kurz darauf reift ein Lächeln in ihrem Gesicht heran. Sie ist dankbar, dass es ihn gibt, dass er für sie da ist, besonders dann, wenn ihr die Gesellschaft der Menschen das Gefühl von Einsamkeit ins Empfinden spült. Obwohl sie nicht mehr von ihm kennt, als sein dürftig angelegtes Profil, verleiht das bloße Betrachten seiner Texte sie mit einem Gefühl jener Geborgenheit, welche sie schon so lange vergeblich suchte. Doch wird sie ihn niemals von ihrer Existenz in Kenntnis setzen, denn befürchtet sie, dass dieses Gefühl und all das, was sie damit verbindet, in dem Augenblick zerbrechen, wenn sie ihn ansprechen würde. 



Die Regentropfen peitschen in sein Gesicht, das genauso betrübt ist, wie der Himmel von dem sie herabstürzen. Zwischen dem kahlen Geäst der Bäume, watet der Mann durch die aufgeweichte Erde des Weges, über den der Wind heulend das welke Laub fegt. Der durchnässte Mantel liegt schwer auf seinen vom Alter geschwächten Schultern, die sich gegen die rastlosen Windböen bäumen. Die klamme Nässe frisst sich unter seine Kleidung und jeder Tropfen auf seiner Haut schmerzt wie zahllose Nadelstiche. Als er zum Stehen kommt, blickt er zurück auf seine in den Schlamm geformten Schritte, die sich im tosenden Regen anfangen aufzulösen. Aus der Obhut seines Mantels holt er einen kleinen Blumenstrauß hervor. Beim Anblick der frischen Blüten überkommt ihn er das Verlangen nach Leben und das Begehren nach einem Aufbruch. Er wischt sich den Regen aus dem Gesicht und beobachtet für einen Augenblick, wie sich sein verbrauchter Atem in der aufgewühlten Morgenluft verflüchtigt, ehe er die Blumen auf ihren Grabstein legt. Als er kurz darauf den Regenschirm aufspannt und durch das rostige Tor den Friedhof hinter sich lässt, beschließt er, dass die Zeit gekommen ist, einen Neuanfang zu wagen. 




Sie war nicht mehr die Jüngste und hatte sich damit abgefunden, dass ihr Leben sich unwiderruflich dem Ende entgegen neigte. Auch wenn sie in der Nachbarschaft als eigenwilliger Kauz verschrien war, der sich zur Empörung ihrer rüstigen Mitmenschen nicht auf den überflüssigen Tratsch einließ, war sie keineswegs eine verbitterte Frau. Ihr Leben wurde von vielen Ereignissen und Menschen geprägt und sie bereute nichts davon, keinen einzigen Augenblick, nicht einmal die Gelegenheiten, welche sie ungenutzt verstreichen ließ. Selbst bei ihren Familienangehörigen war sie unerwünscht. Als diese nämlich versuchten, sie in die entmündigende Institution eines Heims abzuschieben, um so an ihr Vermögen zu gelangen, vererbte ihr Hab und Gut an den höflichen Obdachlosen aus der Seitenstraße, der ihr stets die Einkaufstaschen zum Auto trug. Seither lebte sie allein in ihrer Wohnung und ließ sich auf nichts und niemanden mehr ein. 
Alles was sie noch im Leben wollte, war ihre Ruhe und sich den kleinen Dingen zu widmen, die ihr Freude schenkten. So füllte sie ihre Zeit damit, die Nachbarn mit dem Fernrohr zu beobachten und sah jeden Tag, wie ihre Leben mit Erschöpfung, Leid und Traurigkeit gefüllt wurden aber wie schon ein Moment der Euphorie ausreichte, um sie wieder glücklich zu stimmen. Besonders das italienische Ehepaar hatte es ihr angetan, welche sich regelmäßig zur Abendstunde im Klischee ihrer impulsiven Nationalität auslebten. 
Als sie eines Tages herausfand, dass die Polygamie des Ehegatten der Grund für den allabendlichen Lärm war, passte sie den Augenblick ab, als der trieb gesteuerte Ehebrecher sich alleine in der Wohnung aufhielt und richtete ihr Fernrohr auf ihn. Ihr Zeigefinger zitterte leicht, als er sich dem Abzug ihres großkalibrigen Scharfschützengewehrs näherte. Noch einmal wischte sie über das Glas des Zielfernrohrs und zwang mit einem gezielten Schuss den südländischen Nachbarn zur ewigen Ruhe. Alles was sie noch im Leben wollte, war ihre Ruhe und sich den kleinen Dingen zu widmen, die ihr Freude schenkten, kleine Dinge, wie eine 7,1 cm kleine Patronenhülse.



Knarzend öffnet sie die Tür und steigt zu ihm ins Auto. Zu ihm und dem Rauch, der aus seinen Nasenlöchern strömt und sich wie ein Schleier über ihre Augen legt. Er zerdrückt das aufbegehrende Funkeln seiner Zigarette in dem erstickten Grau des Aschenbechers. Sie spürt wie das klebrige Leder des Autositzes an der Haut ihrer Beine haftet und wie das Innere des Autos sie schlagartig mit einer beklemmenden Enge bedrängt, als er mit seiner rauen Hand über ihr Knie streichelt. Die Umgebung außerhalb entrückt in verschwommene Ferne. Nur flüchtig kann sie sein von Gier umrandetes Grinsen mit einem Lächeln erwidern. Ihre von Panik infizierten Blicke irren umher und bleiben an den toten Insekten auf der Windschutzscheibe hängen. 
Sie will so nicht enden, nicht hier, nicht jetzt und nicht bei ihm. Kurz darauf reißt sie seine Hand von ihrem Schenkel und flüchtet in die dürftig belichtete Straße der Stadt. Irgendwie würde sie das Geld schon auftreiben, irgendwie würde sie es schaffen, irgendwie, nur nicht so. 



Ich lehne meinen Kopf gegen das kühle Fensterglas, als ich bemerke, dass er den verwaisten Platz neben mir besetzt. Mein Blick wendet sich ab und dringt betäubt durch die befleckte Scheibe des Busses auf das rastlose Treiben der Straße. Obwohl ich ihn seit Kindheitstagen meinen besten Freund nenne, kann ich mit ihm nun nichts weiter als das Schweigen teilen. Ich bin erleichtert, dass meine Ohrhörer den Eindruck vermitteln, dass ich gerade in der Musik versunken bin. Doch haben die Batterien schon seit der letzten Haltestelle aufgehört zu funktionieren und so kann ich sie hören, die Stille zwischen uns, diese lähmende Stille, welche sich über den Lärm um uns herum legt und ihn verwirken lässt. Ich vermag ihm nicht in die Augen zu schauen, ich weiß dass daraus gerade die Trauer über ihren Verlust quillt. Doch kann ich ihm nicht jene Worte geben, welche er schweigend einfordert, denn würden ihre zerbrechlichen Hülsen mich nur verraten. Er weiß nicht von ihr und mir, von uns, weiß nichts davon, dass ihr Verlust für mich genauso schwer wiegt, wie für ihn und er weiß nichts von den Tränen, die sich gerade in der Fensterscheibe vor mir spiegeln. So sitzen wir schweigend zusammen und sind doch alleine in der Trauer.

1 Kommentar:

  1. Schöne Geschichten! Ich mag so Geschichten mit "Mindfuck" Momenten. Mir gefällt die erste sehr gut und die vierte find ich extrem toll.

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