Mittwoch, 14. September 2011

Radio Gaga

Ich höre eigentlich wenig Radio, doch wenn ich mich mal dazu hinreißen lasse, es anzuschalten, schockiert es mich jedes Mal aufs Neue was ich da hören muss. Denn trifft man dort zu jeder Tag- und Nachtzeit auf stets gut gelaunte Mitmenschen, die ihrer Hörerschaft mit immerzu erfreuter Stimme vom globalen Mord und Totschlag berichten oder zwischen abwechslungsreichen Musikstücken feuchten Smalltalk mit langweiligen Witzen verzieren, über die sie in narzisstischer Selbstverständlichkeit auch noch herzhaft lachen. 
Doch spielen uns diese Menschen der Öffentlichkeit nicht ein elendiges Schmierentheater vor? Wer kann in dieser bitteren Welt schon von sich behaupten, ständig gut gelaunt durch das Leben zu flanieren und immer mindestens einen Grund zu haben, grenzdebil vor sich her zu grinsen? Ich behaupte niemand und deshalb kann es auch nicht möglich sein, dass diese Radiomoderatoren uns genau dies vermitteln wollen, wenn sie mit  angeheiterter Stimme unser Trommelfell strapazieren. Daher fordere ich von ihnen und dem Radio mehr Authentizität und Mut zur Wahrheit, denn schließlich repräsentieren diese Zeitgenossen auch unsere Gesellschaft. 
Wenn sich also um 6 Uhr der Radiowecker im karg beleuchteten Schlafzimmer zu Wort meldet, dann möchte ich dort keine aufgedrehte dämlich rumgluckernde Witzfigur hören, sondern vielmehr einen übel gelaunten, verschlafenen und wortkargen Moderator, der keinen Hehl daraus macht, dass ein Job, der um 4 oder 5 Uhr beginnt, einfach kein Grund zur Freude ist und dementsprechend seine schlechte Laune mit Schimpfwörter untermalt oder ab und an mit der Faust auf den Tisch schlägt, während er mit einem lakonischen 'Der Kaffee schmeckt nach Fäkalien, verdammter Mistladen!' stimmungsvoll das nächste Lied einleitet. Es wäre sicherlich auch alternativ angebracht, wenn man aus den Lautsprechern des Radios eine hitzige Diskussion zwischen mies gelaunten Moderatoren vernehmen könnte, die in einer ausgiebigen Prügelei mündet, bei der  Einrichtungsgegenstände und Körperteile zu Bruch kommen und sich die ebenfalls verstimmten Praktikanten tatkräftig mit beteiligen. Ich bin mir sicher, dass so eine miesepetrische Herangehensweise nicht nur authentisch, sondern auch sympathisch bei den Hörern ankommt. Wer will schon von einem energiegeladenen "Guten Morgen Allerseits, was für ein toller Tag heute doch wieder ist!" geweckt werden, wenn ein "Was für ein beschissener Tag einer dreckigen Woche, ich hoffe ihr verreckt." doch eher den Nerv der Bevölkerung treffen würde.

Auch werden Moderatoren gerne angehalten ihr Privatleben mit in die Sendung einzubauen, um den Zuhörern eine persönliche Note zu vermitteln. Doch wird auch hier wieder bis auf die Knochen geheuchelt und beschönigt das sich die Balken biegen. Denn beschränkt sich dieses Private gerne auf eine Anekdote, als man  mit der heilen Patchwork-Familie den aktuellen Kinofilm angeschaut hat oder sich unschlüssig war, was man dem Lebensabschnittsgefährten mit Migrationshintergrund denn Originelles zum Geburtstag schenken könnte. 
Warum erzählt denn die Moderatorin nicht davon, dass sie letzte Nacht den schlechtesten Sex ihres Lebens mit einem bierbäuchigen und tanzbärähnlichen Mann gehabt hatte, der sich nicht nur plump bewegte, sondern dazu auch noch viel zu früh kam und zu allem Überfluss noch heulend am Bettrand über seine heimliche Liebe zu seinem minderjährigen Cousin 'Alfons' schwadronierte. Kurz darauf könnte der betreffende Mann per Telefon in die Sendung geschaltet werden und mit Moderatorin und Zuhörerschaft diskutieren, was er denn beim nächsten Mal besser machen könnte und wie er dem Cousin auf romantische Art und Weise am Tag seiner Volljährigkeit seine Liebe gestehen kann. 
Alternativ könnte die Moderatorin auch davon erzählen, dass sie es genießt einen Macho als Freund zu haben, den sie in devoter Reinnatur nach Strich und Faden bedienen kann und außerdem ihr die gelegentlichen Handgreiflichkeiten nichts ausmachen, in dem ihr Partner sie grün und blau schlägt, bis er beide Arme oder Beine nicht mehr heben kann. Ganz im Gegenteil, würde sie schwärmen, es bringt ja schließlich den nötigen Pepp in ihre Beziehung. Auch dass er sie mit mehreren Frauen betrügt, stört sie nicht, denn kam sie selbst schon mit der Hälfte der Geschlechtsorgane dieser Stadt in Berührung und gilt in Fachkreisen von Biologen schon als Quell neuer Geschlechtskrankheiten. 
Wenn also das nächste Mal der vor Freude hyperventilierende Radiomoderator wieder eine Anekdote über sein belangloses Leben zum Besten gibt, dann bitte keine "Ich weiß nicht was ich zum Kindergeburtstag meiner Nichte anziehen soll." Geschichte, sondern stattdessen bitte eine Abhandlung wie ihn die ständigen Gesellschaftsabende seiner Eltern in die Alkoholsucht und die Erinnerung an seine fürsorgliche Oma in die Nekrophilie stürzten. Ein solcher offener Umgang mit den persönlichen Schwächen fördert nicht nur die Identifikation mit den Zuhörern, sondern vermittelt auch das spezielle authentische Flair.

Ich finde, dass in diesem Zug auch der Nachrichtensprecher endlich aufhören sollte, emotionslos wie ein überfahrenes Meerschweinchen die Nachrichten zu verlesen. Er könnte doch endlich seinen Gefühlen freien Lauf lassen und zum Beispiel einen Heulkrampf bekommen, wenn er von einem Schiffsunglück bei Tahiti berichten muss, mit einem abwertenden Gelächter die Rede eines Politikers kommentieren oder gar ein mitfühlendes "oh, ist das nicht entzückend!" stöhnen, nachdem er der Hörerschaft mitgeteilt hat, dass gerade die  norwegische Prinzessin einem Schuhverkäufer vor dem begeisterten Volk das Ja-Wort gegeben hat.
Auch der Wettermann könnte endlich diese lästige Angewohnheit ablegen, sich wie ein 13 jähriges Schulmädchen über ein Hochdruckgebiet zu freuen, weil die Welt bei Sonnenschein gleich viel freundlicher daher kommt. Zudem könnte er es auch unterlassen bei einer prognostizierten Schlecht-Wetter-Front auf Knien rutschend bei den Hörern um Verzeihung zu flehen, weil bei kaltem Regenwetter ja eh alles doof und depressiv erscheint. Stattdessen könnte er dezent darauf hinweisen, dass das Wetter keinen Einfluss auf den Gemütszustand eines mündigen Bürgers haben sollte und falls doch, dass dafür genügend chemische Substanzen gibt, die da Abhilfe schaffen.
Zu Guter letzt, muss die Heuchelei noch bei den Verkehrsübersicht ausgemerzt werden. Da wird zuerst eine ellenlange Liste der Staus aufgesagt, die entweder von überfordernden Rentnern verursacht wurde, weil sie mal wieder die Handbremse mit dem Lautstärkeschalter des Radios verwechselt haben oder von Menschen, die bezüglich der Hirnkapazitäten und der Größe der Fortpflanzungsorgane erhebliche Defizite aufweisen und diese in Form eines PS starken Fortbewegungsmittel zu kompensieren versuchen und durch das zu schnelle Fahren einen Unfall provoziert haben. Danach werden die geneigten Zuhörer vor sogenannten 'Blitzern' gewarnt. Oftmals werden genau diese kompensierungswütigen Menschen via Telefon in die Sendung geschaltet, die direkt vor den üblen Gerätschaften warnen und zumeist hört man im Hintergrund noch wie sie ein Auto in die Leitplanke abdrängen oder sich ein panischer Hilfeschrei in den Vordergrund drängt, der von einem unbescholtenen Mitbürger kommt, welcher sich in letzter Sekunde vor dem rasendem Auto auf die Motorhaube retten konnte. Warum spielt das Radio einerseits die humanitäre Auffangstation fördert aber andererseits die Umgehung der Straßenverkehrsordnung? Müssten sie dann nicht auch konsequenter sein und auch die Adressen jener Zuhörer veröffentlichen, die gerade einen Urlaubsgruß via Telefon gesendet haben? Daran könnten sich jene Zeitgenossen orientieren, die ihr Geschäft mit Einbrüchen verdienen. Natürlich könnte die hiesige Radiostation auch einen täglichen Kindergarten-Guide für die geneigten pädophilen Mithörer aussenden aber da das natürlich den Umfang sprengen würde, wünsche ich mir einfach, dass zumindest diese Warnung von Blitzern, mit einer detaillierten Beschreibung von Unfalltoten ersetzt wird, die den Tod wegen zu schneller Geschwindigkeit fanden.


Also liebes Radio, für die Zukunft wünsche ich mir weniger Heuchelei und Sonnenschein Atmosphäre und stattdessen mehr Authentizität, Gefühl, und Anteilnahme aus den Lautsprechern, denn das tut uns, den Zuhörern und der Gesellschaft einfach gut.


Gaga

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